Gerichte gegen Pressefreiheit : Böhmermann ist kein Einzelfall
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird für seine Klage gegen den Satiriker Jan Böhmermann scharf kritisiert. Nachdem nun offenbar mehrere hundert Menschen bei der Mainzer Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann gestellt haben, wird deutlich, dass hier juristische Mittel genutzt werden, um ungeliebte Meinungsäußerung nachhaltig zu unterbinden. Mit Erfolg: Böhmermanns Schmähgedicht bleibt aus der ZDF-Mediathek vorerst gelöscht.
Dass juristische Mittel genutzt werden, um unliebsame Stimmen mundtot zu machen, ist jedoch kein Einzelfall. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt derzeit gegen den Grimme-Preisträger Daniel Harrich und seine Co-Autoren Jürgen Grässlin sowie Danuta Harrich-Zandberg wegen der Veröffentlichung des Buches »Netzwerk des Todes« und der darauf basierenden TV-Dokumentation »Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam«. Gegenstand der Ermittlungen seien veröffentlichte interne Dokumente des baden-württembergischen Waffenherstellers Heckler & Koch. Der Heyne-Verlag, in dem das Buch erschien, spricht von einem eindeutigen Versuch der Einschüchterung.
Das Buch, wie auch die TV-Dokumentation des SWR und BR, informiert darüber, wie deutsche Sturmgewehre des Typs G36 nach Mexiko geliefert wurden, obwohl die Zielregionen vom Auswärtigen Amt als kritisch eingestuft wurden. Damit wäre de facto eine Waffenlieferung unmöglich gewesen. Die Autoren recherchierten, dass die G36-Gewehre stattdessen in Regionen geliefert wurden, die als unkritisch eingestuft sind und enthüllten in ihren Veröffentlichungen, wie die Waffen über Umwege in die kritischen Regionen geliefert wurden. Laut den Recherchen der Autoren soll das Bundeswirtschaftsministerium und auch das Bundesausfuhramt von dem Waffendeal nicht nur gewusst, sondern den Waffenhandel tatkräftig unterstützt haben. Für den Film wurde der Münchner Autor und Regisseur Daniel Harrich in diesem Jahr mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Grimme-Preis gilt als eine der renommiertesten Auszeichnungen für TV-Produktionen.
Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Harrich, seine Mutter, den Autor Jürgen Grässlin sowie zwei Journalisten von BR und SWR. Der Fall ist nach einem behördeninternen Zuständigkeitsgerangel bei der Staatsanwaltschaft I in München gelandet, die das bestätigt. »Wir prüfen derzeit, welche Straftatbestände in Betracht gezogen werden müssen«, erklärte ein Sprecher der Behörde gegenüber der Abendzeitung München (AZ). Der Anwalt Holger Rothbauer, der den Rüstungsgegner und Co-Autoren Jürgen Grässlin vertritt, bezeichnet die Ermittlungen gegenüber der AZ als skandalös.
Auf Grässlin gehen die Anzeigen zurück, mit der die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen sechs Manager von Heckler & Koch Anklage erhoben. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, mit illegalen Waffenlieferungen nach Mexiko gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen zu haben, gewerbsmäßig und als Bande handelnd. Auch nach der relativ langen Zeit seit Erhebung der Anklage hat die zuständige Strafkammer des Landgerichts nach Angaben einer Justizsprecherin aber noch nicht entschieden, ob sie die Anklage zulässt und ein Prozess stattfindet.
Laut AZ sehen Harrich und der Anwalt Rothbauer einen möglichen Zusammenhang zwischen der zögerlichen Vorgehensweise der Justiz und einer Personalie. Der ehemalige Präsident des Rottweiler Landgerichts, das zum Stuttgarter Gerichtsbezirk gehört, wechselte nach seiner Justizkarriere als Manager zu Heckler & Koch und soll einer jener Heckler & Koch-Manager sein, gegen die Anklage wegen des Mexiko-Waffendeals erhoben wurde.
von
Line Holm – 28.04.2016
In Deutschland hat seit der Spiegelaffäre aus dem Jahr 1962 kein Ereignis die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Pressefreiheit mehr auf sich gerichtet, wie es derzeit bei dem „Fall Böhmermann“ der Fall ist.
Seinerzeit ging es um die Veröffentlichung des Spiegels über einen kritischen Artikel wegen angeblichen Landesverrats zu den Resultaten des NATO-Manövers Fallex 62.
Am Abend des 26. Oktobers erstürmte die Polizei die Spiegel- Redaktion in Hamburg und durchsuchte diese. Gegen die Spiegel-Redakteure Conrad Ahlers, Claus Jacobi und Johannes K. Engel, sowie dem Herausgeber und Chefredakteur Rudolf Augstein wurden Haftbefehle vollstreckt.
Obwohl der Staat im Fall Böhmermann heute weniger martialisch gegen den betroffenen Kabarettisten sowie den Fernsehsender ZDF wegen der Beleidigung des türkischen Ministerpräsidenten vorgeht, ist die Brisanz des momentan aktuellen Falles nicht von geringerer Bedeutung, zumal hier mit dem § 103 des StGB ein Paragraph ins Spiel gebracht wird, der sich als Relikt aus „Kaisers Zeiten“ im deutschen Gesetzesdschungel hindurch gerettet hat.
Die Fälle, welche die Staatsanwaltschaft zumeist aufgrund im Interesse der Politik auf den Plan rief, in denen Journalisten „zweifelhafte“ Verbindungen und Geschäfte in die Öffentlichkeit bringen, stehen häufig in Verbindung mit Waffengeschäften wie der Lieferung des Gewehres G36 nach Mexico, Panzer nach Saudi Arabien oder Blaupausen von U-Bootplänen nach Südafrika usw. Auffallend an ALLEN Fällen ist, dass die Staatsanwaltschaft NIE gegen diejenigen vorgeht, welche die Gesetze brechen und Waffenlieferungen wie von Heckler & Koch, Rheinmetall und ThyssenKrupp Marine Systems GmbH (früher: HDW) durchführen, sondern es werden stets die Journalisten belangt, die diese kriminellen Machenschaften aufdecken!
Dem Spiegel warf man Landesverrat mit der Veröffentlichung der Resultate des NATO-Manövers Fallex 62 vor, da dieses von der Annahme ausgegangen war, ein dritter Weltkrieg würde mit einem sowjetischen Großangriff auf Westeuropa beginnen. – Jan Böhmermann erlaubte sich, sich in einer Satiresendung des ZDF über den türkischen Ministerpräsidenten lustig zu machen, indem er zugegebenermaßen recht krass einen Vergleich erlaubter und unerlaubter Satire in Deutschland herstellte, der durchaus kritikwürdig ist und der dennoch bei nüchterner Betrachtung nicht das Zeug zu einer Staatskrise hat und einen eifrigen Mainzer Staatanwalt über Monate ausreichend mit Arbeit auslastet.
Insofern stellt sich für mich die Frage, inwieweit es hier im Lande mit der sogenannten Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative bestellt ist, die allen Jugendlichen an allen deutschen Schulen gelehrt wird und von den Politiklehrern geradezu gebetsmühlenartig hoch gehalten wird obwohl sie in der Praxis nahezu täglich seitens der Politik und Justiz mit Füßen getreten wird, da alle drei Gewalten in der Realität dermaßen miteinander verwoben sind, dass einem Angst und Bange werden kann. Folglich kann NUR eine freie Presse ein wirksames Regulativ sein, diese und andere Missstände offen zu legen, um einer Ausuferung von Lug und Trug Einhalt zu gebieten.