George Orwell schreibt ist seinem Roman „1984“: „Der große Bruder sieht dich an“. Dieser macht mit Zwei-Minuten-Hass-Sendungen und Hasswochen Stimmung gegen einen unsichtbaren Feind. Seine Zwiesprache führt zu Zwiedenken: „Freiheit ist Sklaverei“, „Unwissenheit ist Stärke“.

Die Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ hat das Social-Media-Unternehmen Facebook mit dem Negativpreis „Verschlossene Auster 2016“ ausgezeichnet. Das Netzwerk kritisiert damit die mangelnde Transparenz des Unternehmens beim Umgang mit Hasskommentaren.

„Es war und ist nicht erkennbar, wann, ob und nach welchen Kriterien Löschungen vorgenommen werden,“ hieß es zur Preisvergabe auf der Jahrestagung des Netzwerks in Hamburg. Nachforschungen zu Facebooks Praxis gegenüber Hetze im Internet seien weitgehend ins Leere gelaufen. Hasskommentare hätten in der politischen Debatte des vergangenen Jahres eine wichtige Rolle gespielt, betonte Netzwerk Recherche: „Dass Menschen Facebook für solche Botschaften missbrauchen, liegt nicht in der Verantwortung des Unternehmens, wie die Firma dagegen vorgeht, allerdings schon.“

Facebook sieht das anders – und kommt nicht

Der Datenschutzexperte Thilo Weichert sagte in seiner Laudatio, Facebook ermögliche das unkontrollierte Verbreiten von Meinungen und sammle dabei Daten, um sie kommerziell zu verwerten: „Transparenz und Kontrolle wären für dieses Geschäftsmodell Gift.“

Facebook nahm die Einladung zur Preisverleihung und Gegenrede nach Angaben des Netzwerks nicht an. „Obwohl wir mit Ihnen sicherlich in wichtigen Punkten übereinstimmen würden, müssen wir bei anderen höflich aber deutlich widersprechen und können somit die ‚Verschlossene Auster‘ nicht annehmen“, schreibt Facebook in seiner Antwort auf den Preis. Seit 2015 habe Facebook „eine Vielzahl von Maßnahmen im Kampf gegen Hasskommentaren und Hetze ergriffen“. Man informiere darüber „permanent, offen und transparent“.

„Austern“ für ADAC und FIFA

Netzwerk Recherche vergibt die „Verschlossene Auster“ seit 2002 an den „Informationsblockierer des Jahres“. Bisher ging der Negativpreis unter anderem an die Rüstungsfirma Heckler & Koch, an den ADAC, an den ehemaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und an den Weltfußballverband FIFA.

Die Journalistenvereinigung hat rund 770 Mitglieder. Ziel ist, einen aufklärerischen und investigativen Journalismus zu fördern.

Laudatio von Thilo Weichert: Facebook ist Informationsblockierer und erhält Negativpreis „Verschlossene Auster“

Dr. Thilo Weichert ist deutscher Jurist und war 2004 bis 2015 Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein. Die Laudatio steht auch beim Netzwerk Recherche, ebenso die Antwort von Facebook.

George Orwell schreibt ist seinem Roman „1984“: „Der große Bruder sieht dich an“. Dieser macht mit Zwei-Minuten-Hass-Sendungen und Hasswochen Stimmung gegen einen unsichtbaren Feind. Seine Zwiesprache führt zu Zwiedenken: „Freiheit ist Sklaverei“, „Unwissenheit ist Stärke“.

Weshalb zitiere ich George Orwell, wenn das „Soziale Netzwerk“ Facebook als „Informationsblockierer des Jahres“ gewürdigt wird und die „Verschlossene Auster“ verliehen bekommt? Netzwerk Recherche wählte Facebook aus, weil die Internet-Plattform zum „Katalysator für den Hass“ geworden ist. Über Facebook wird gegen Flüchtlinge, PolitikerInnen, JournalistInnen, demokratisch engagierte Menschen gehetzt und das Medium lässt dies geschehen. Zwar hat Facebook nach massivem medialem und politischem Druck zum Jahreswechsel 2015/2016 ein Löschteam der Firma Arvato mit angeblich 300 „Customer Care Agents“ beauftragt, rassistische, Gewalt verherrlichenden, diskriminierende und fremdenfeindliche Inhalte zu entfernen.

Wie das geschieht und nach welchen Kriterien, blieb bis heute im Dunkeln. Facebook ist das bevorzugte Instrument für Hasspropaganda geblieben. Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook, predigt derweil: „Nur Liebe und Toleranz können gegen Hass helfen“. Sie ruft die Nutzenden zur „Counterspeech“ auf, womit ein Umdenken erreicht werden könne.

Meine Counterspeech richtet sich gegen Facebook. Das Netzwerk Recherche fordert das US-Unternehmen zu Recht auf, umzudenken und endlich Transparenz herzustellen. Daran denkt Facebook bisher ebenso wenig, wie Fremdenhasser durch Counterspeech zu Menschlichkeit bekehrt werden konnten.

Das Geschäftsmodell von Facebook basiert darauf, dass unkontrolliert Meinungen verbreitet werden. Dabei werden Daten gesammelt und kommerziell verwertet. Transparenz und Kontrolle wären für dieses Geschäftsmodell Gift.

Seit Jahren verweigert sich das Unternehmen der kritischen Öffentlichkeit. Facebook ist für diese wie für JournalistInnen kaum erreichbar. Um die Kontakte der Pressesprecherin zu finden, ist Recherchekompetenz nötig. Auch heute stellt sich Facebook, soweit ich gehört habe, nicht der Diskussion. Dieses Wegducken, verbunden mit der Verbreitung von Jubelmeldungen, hat System.

Im Jahr 2011 hinterfragten deutsche Datenschutzbehörden die Überwachung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern durch sog. Social Plug-Ins auf Fanpages und über „Gefällt-mir“-Buttons auf Webseiten. Bis heute verweigert Facebook erfolgreich die Auskunft hierüber. Inzwischen liegt ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof, der klären soll, wer für die Überwachungsmaßnahmen Facebooks verantwortlich ist und wie sich Betroffene hiergegen zur Wehr setzen können.

In einem anderen Verfahren signalisierte der Europäische Gerichtshof auf eine Klage von Max Schrems hin, dass Facebooks klandestine Datenverarbeitung in den USA und dessen nicht minder klandestine Komplizenschaft mit dem Geheimdienst National Security Agency gegen europäische Grundrechte, gegen den Schutz von personenbezogenen Daten und freier Kommunikation, verstößt. An der Überwachungspraxis des Unternehmens hat dies bis heute nichts geändert. Im Gegenteil: Facebook wertet anscheinend nicht nur die Metadaten der Nutzenden aus, sondern auch, unter Missachtung des Telekommunikationsgeheimnisses, die Inhalte der privaten Nachrichten.

von

Günter Schwarz – 11.07.2016