20.000? – 30.000? – oder gar 40.000? – Jedenfalls waren es in jedem Fall zu viele, die für den türkischen Despoten in Köln auf die Straße gingen! Sagen wir einmal es waren geschätzte 25.000 „verblendete“ Türken, die in Köln für Recep Tayyip Erdoğan auf die Straße gingen – und die deutsche Politik schwieg glücklicherweise dazu!

Sinem ist extra nach Köln geflogen für heute, aus ihrer Heimat, der Türkei. „Ich will mein Land auch von Deutschland aus unterstützen“, sagt sie auf Türkisch, denn Deutsch versteht sie nicht. Ihre Freundin, die wie Sinem eine türkische Flagge umgebunden hat, übersetzt für sie; sie ist aus Großbritannien hergekommen. „Die politische Situation in der Türkei muss stabil bleiben – und das geht nur mit Erdoğan.“

Gut 25.000 Menschen sind es, die am Sonntag nach Köln gekommen sind, sie tragen Schilder mit Sprüchen wie „Erdoğan – Retter der Menschenrechte“ oder „Ja zur Demokratie, nein zum Staatsstreich“ in den Händen. So lautet auch das offizielle Motto der Großdemonstration, die die UETD, der deutsche Lobbyverein des türkischen Präsidenten, organisiert hat. Gekommen sind weniger als erwartet; am späten Nachmittag leert sich das Gelände zusätzlich wegen eines sintflutartigen Regens.

Keine Erdoğan -Rede

Die Redner auf der Bühne sind trotzdem zufrieden. „Ich grüße euch, die ihr seit 50 Jahren nicht assimiliert wurdet“, ruft der Einpeitscher, womit er auf eine Rede anspielt, die Erdoğan, damals noch als Premierminister, 2008 in Köln gehalten hat. „Assimilation ist ein Verbrechen“, rief er seinen Anhängern damals zu, heute muss er seine Botschaft von anderen überbringen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat kurz vor der Demo verboten, eine Rede Erdoğans live zu übertragen; als Vertretung ist zumindest Akif Cagatay mit dabei, der in Deutschland geborene türkische Sportminister. Während er hinter der Bühne davon spricht, dass die Veranstaltung „den Zusammenhalt“ stärken soll, ertönen im Publikum „Allahu Akbar“-(„Gott ist groß“)-Rufe, denn unter die Demonstranten hatten sich zahlreiche rechtsextreme Türken gemischt. Von der Bühne hallt der Ruf nach der Todesstrafe für die Putschisten, die Menschen unten stehen in einem Fahnenmeer, neben den vielen türkischen sieht man auch ein paar deutsche. „Alles fürs Vaterland“, rufen einige, und es ist jedem klar, dass sie damit nicht Deutschland meinen.

„Ihr demonstriert für einen Despoten!“, schreit ein junger Mann an der Absperrung; sein Ruf geht im Jubel der Massen unter. Dass gerade der türkische Präsident den Deutschen Defizite bei der Meinungsfreiheit unterstelle, sei geradezu ironisch, sagt er noch, bevor er weitergeht; er ist auf dem Weg zur linken Gegendemo am anderen Rheinufer. Dort haben sich SPD, Linke und Grüne zusammengetan, um gegen Erdoğans Machtdemonstration auf die Straße zu gehen, parallel dazu läuft eine Neonazi-Demo mit ein paar Hundert Teilnehmern. Die Polizei versucht mit 2700 Mann, eine Eskalation zu verhindern.

Propaganda

„Das ist alles nur Propaganda von Erdoğans Gegnern“, sagt der 24-jährige Mustafa, der gut 20 rote Schals mit dem Namen des Präsidenten um die Schultern gelegt hat – er meint damit die Gülen-Bewegung, die den Putsch ja organisiert haben soll. „Zehn Euro das Stück“, sagt er lachend; Abnehmer für die Schals finden sich viele. Sie alle stimmen ihm zu bei dem, was er über die Meinungsfreiheit zu sagen hat: „In der Türkei ist nur verboten, was auch in Deutschland nicht rechtens ist.“ Dass kurz nach dem Putschversuch bereits Namenslisten bereitlagen, dass seither 18.000 Menschen in Haft genommen wurden, das alles wundert ihn nicht. „Das ist alles gerechtfertigt.“

Woher er das weiß? Er informiere sich, sagt er, hauptsächlich über türkische Medien. Das ist bei den vielen so – das weiß Erdoğans Regierung auszunutzen, schließlich sind die drei Millionen Deutschtürken die größte Gruppe an Wählern außerhalb der Türkei.

Recht ist das in der deutschen Politik freilich niemandem. Kritische Rufe kamen bisher aber nur aus der zweiten Reihe, man will es sich mit Ankara nicht völlig verscherzen – noch immer nicht. Es ist fraglich, ob sich nach der Großdemo daran viel ändern wird. – Sehr optimistisch kann man allerdings nicht sein, wenn man die türkischen Reaktionen auf die Kölner Demo vom gestrigen Montag betrachtet.

von

Günter Schwarz – 02.08.2016