Ob der Koran die Verschleierung von Frauen tatsächlich vorschreibt, ist sogar theologisch äußerst umstritten. In Belgien und Frankreich gibt es seit einem halben Jahrzehnt ein Hidschab-, Niqab-, Burka-Verbot. In den beiden Ländern erhöhte sich nach dem Burka-Verbot die Terrorgefahr, und es verschärften sich die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern. In Österreich und in der Schweiz wird ähnlich wie in Deutschland seit Jahren eine emotional aufgeheizte Debatte um das Verbot dieser „Ganzkörperkleidung“ geführt. Der schweizer Kanton Tessin hat das Burka-Verbot in seiner Kantonsverfassung nach einer Volksabstimmung im September 2013 festgeschrieben.

Die deutschen Unionsinnenminister sind auf ihrem Weg zu einem Burka-Verbot ein ganzes Stück vorangekommen. In wenigen Tagen treffen sich die Unionsinnenminister, um die „Berliner Erklärung“ zu verabschieden, die ein Burka-Verbot fordert. Sie sind sich allerdings einig, dass es sich nicht um ein generelles Verbot der Vollverschleierung handeln kann. Es soll nur in Bereichen wie dem öffentlichen Dienst, im Straßenverkehr und vor Gericht gelten. Insofern haben die Terrorangriffe in Würzburg und Ansbach sowie der Amoklauf in München dazu beigetragen, dass sich etwas ändern wird, und sie haben die Sicherheitsdebatte in Deutschland erneut angeheizt.

Mit der Entscheidung, ein Burka-Verbot nur in Teilbereichen anzuordnen, macht die Union es unwahrscheinlicher, eine weitere, ziemlich sichere Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht erleben zu müssen, wie es schon 2015 in der Debatte über das Tragen von Kopftücher von muslimischen Frauen im öffentlichen Dienst der Fall war, als das Gericht klarstellte, dass es sehr hohe Maßstäbe anlegt, wenn es um religiöse Symbole geht.

Ein Ende der Debatte über Burkas, Nikabs und andere Formen der Vollverschleierung wird mit der „Berliner Erklärung“ vermutlich aber nicht erreicht werden, da beim Koalitionspartner SPD, den die Union für ein Verbot braucht, das Unbehagen trotz der Abkehr von einem grundsätzlichen Verbot groß ist. Neben der Frage, ob ein entsprechender Gesetzentwurf gerichtsfest ist, liefern schließlich auch Zweifel an der Praktikabilität und Angemessenheit eines Verbots reichlich Gesprächsstoff. Das macht ein Blick ins europäische Ausland deutlich.

In Frankreich und Belgien existiert ein Burka-Verbot bereits seit gut fünf Jahren. Die Bilanz ist durchwachsen, aber die Sicherheit in den Ländern hat sich dadurch keineswegs erhöht – im Gegenteil.

Der Staat ist machtlos

Die Unionsinnenminister machten sich angesichts der jüngsten islamistischen Terroranschläge in Deutschland zum wiederholten Male an das Burka-Verbot, wobei sie angaben, allein von Sorgen um die Sicherheit getrieben worden zu sein.

In Frankreich und Belgien erhöhte sich seit der Einführung des Burka-Verbots allerdings die Terrorgefahr. Man kann daraus keinen kausalen Zusammenhang ableiten. Ohnehin lässt sich trefflich darüber streiten, ob die Burka überhaupt im Kontext einer Sicherheitsdebatte debattiert werden sollte. Klar ist aber: Was man sich in Sachen Sicherheit in Frankreich und Belgien von dem Verbot erhofft hat, ist nicht eingetreten.


Die Burka wird vor allem in Afghanistan getragen – in Deutschland hingegen fast nie.
Zudem war festzustellen: Statt zum gesellschaftlichen Frieden beizutragen, sind eher Trotzreaktionen und eine weitere Zuspitzung der Debatte zu beobachten. In Frankreich etwa gehen Schätzungen zufolge noch immer rund 2000 Frauen vollverschleiert auf die Straße. Berichten zufolge handelt es sich dabei oft um dieselben Personen. Für etliche von ihnen zahlt ein wohlhabender Mäzen das Bußgeld in Höhe von 150 Euro.

Da der Justiz abgesehen von Zwangs-Staatskundeunterricht kein weiteres Druckmittel zur Verfügung steht, um das Verbot durchzusetzen, geben es immer mehr Polizisten auf, diese Frauen überhaupt noch zu kontrollieren oder vor Gericht zu bringen. Muslimische Verbände berichten zugleich, dass Frauen mit Schleier dafür immer häufiger Anfeindungen von Privatleuten ausgesetzt seien, die das Verbot als „Pöbelfreischein“ betrachten.

Aus der politischen Rechten ertönte unterdessen sogar schon der Ruf, mit drakonischen Strafen wie dem Entzug von Staatsbürgerrechten auf die fehlende Wirkung des Verbots zu reagieren.

In Belgien sind neben Geldstrafen auch bis zu sieben Tage Haft für renitente Burka-Trägerinnen möglich. Die Zahl der Vollverschleierten hat sich aber auch dort nicht bedeutsam verringert. Sie liegt Schätzungen zufolge bei einer kleinen dreistelligen Zahl.

Burkas wirken auch so fremd, weil sie so selten sind

Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage der Verhältnismäßigkeit in Deutschland. Wollen Union und SPD angesichts der Erfahrungen im europäischen Ausland wirklich ihre Energie für das Thema Burka einsetzen?


Blick durch eine Burka auf die Außenwelt
Ja, der Anblick einer vollverschleierten Frau löst bei den meisten Menschen negative Assoziationen hervor. Wohl kaum, wie es die Verknüpfung mit Terror in Sicherheitsdebatte der Union suggeriert, weil die Menschen dächten, dass sich unter jedem Schleier auch ein Sprengstoffgürtel verbergen könnte. In der Union selbst war man zuletzt sichtbar bemüht, diesem Eindruck entgegenzutreten. Die negativen Assoziationen entstehen vielmehr, weil mit Burka und Co. die Unterdrückung der Frau und eine ausgesprochen rückwärtsgewandte Auslegung des Islam in Verbindung gebracht wird. Sie ist ein Symbol der Desintegration.

Doch sieht man von dieser Wahrnehmungs-Komponente ab, ist festzustellen: In der Bundesrepublik gibt es nicht einmal verlässliche Schätzungen darüber, wie viele Frauen sich mit Burka, Nikab oder einer anderen Verschleierung in der Öffentlichkeit zeigen.

Wer Berlins „Arabische Allee“, die Sonnenallee in Neukölln, entlangspaziert, kann schon durchaus verstört auf den Anblick einer vollverschleierten Frau reagieren – allerdings nicht, weil diese dort immer häufiger zu sähen wären. Sondern vielmehr, weil sie selbst dort noch im August 2016 ein seltener und damit fremder Anblick sind.

Formen des Schleiers

Die Burka ist ein Vollschleier, der den Körper von Frauen komplett bedeckt. Die Augen werden von einem engmaschigen Gitter verborgen. Diese Form der Verschleierung wird vor allem in Afghanistan getragen, in Deutschland ist sie extrem selten.

Etwas häufiger hierzulande ist das Tragen eines langen Gewandes in Kombination mit dem Gesichtsschleier, der Nikab genannt wird. Er bedeckt das ganze Gesicht, ist meist schwarz und lässt nur einen kleinen Sehschlitz frei. Ganzkörperschleier sind die strengste Form der Verhüllung des weiblichen Körpers im Islam.

Der Hidschab bedeckt je nach Land und Auslegung Haare und Hals komplett oder wird als dünner Schal leger um den Kopf getragen. Im Iran ist er den Frauen in er Öffentlichkeit vorgeschrieben.

Der Kopftuch bedeckt das Haar, den Hals und fällt meistens über die Schulter. Farblich ist es nicht an eine bestimmte Farbe gebunden. Das Kopftuch sieht man auf den Straßen Europas am häufigsten von Frauen muslimischen Glaubens.

Der Burkini ist ein Ganzkörperbadeanzug, den muslimische Frauen beim Baden und Schwimmen tragen. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte 2013 in einem Urteil festgeschrieben, dass muslimischen Mädchen im Burkini die Teilnahme am gemeinsamen Schwimmunterricht zugemutet werden könne.

von

Günter Schwarz – 19.08.2016