Die Misere fängt schon beim Begriff an, mit der eine der unappetitlichsten Unarten unserer Gesellschaft bezeichnet wird. Der Bayer nennt die ekelhafte Unsitte zumeist augenzwinkernd „Wildbieseln“, die, in aller Öffentlichkeit den Hosenstall zu öffnen und ätzende Körperflüssigkeiten abzuschlagen. Und nicht nur Männer frönen diese Unsitte, denn man sieht in Folge der Emanzipation zunehmend mehr Frauen, die sich in aller Öffentlichkeit hinhocken, die Jeans fallen lassen oder das Kleid beziehungsweise den Rock leicht anheben und es „laufen“ lassen.

Der Begriff, den die Restrepublik für die in Bayern geläufige Vokabel dafür hat geschaffen hat und häufig mit „Wildpinkeln“ bezeichnet wird, klingt auch nicht besser und ist viel zu harmlos für das vulgäre Verhalten, wie ein Hund zu urinieren, der einfach das Bein hebt und es „laufen“ zu lassen. Auch schärfere Worte helfen wenig, und so hat‘s Dresden versucht und ein Verbotsschild entwickelt: „Falschpissen verboten“. Aber lässt sich jemand von einem anonymen Schild wirklich beeindrucken, der so wenig Anstand hat, dass er ungeniert an eine fremde Hauswand „strullert“?

Eingänge, Aufzüge, Hausflure – nichts ist vor Pinklern sicher

Das Problem ist mittlerweile so gravierend, dass die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ das unappetitliche Thema sogar auf die Titelseite hob.

In Unterführungen und Aufzügen, an Parkscheinautomaten, in Vorgärten und Kaufhauseingängen stinkt und klebt Urin. Ganze Horden pinkeln in Parks oder auf Spielplätze, immer öfter vor den Augen kleiner Kinder. Historische Gebäude wie beispielsweise das Ulmer Münster und der Kölner Dom erodieren. Beim Blockupy-Camp in Frankfurt wurde ein großer Baum „totgepinkelt“, weil er über Jahre als Pissoir missbraucht wurde.

Unsere Gesellschaft degeneriert

Soziologen und Psychologen sinnieren darüber, ob da eine archaische Lust der Reviermarkierung an die Oberfläche dringt. Der niederländische Soziologe Abram de Swaan hat das Verhalten schon vor Jahren trefflicher als Rückfall im Zivilisationsprozess analysiert. Dazu passen Leute, die ihren Sperrmüll wild auf die Straße stellen, ihren Rotz auf den Boden spucken, ihre leere Bäckereitüte einfach im Gehen fallen lassen, den Kaugummi rausrotzen, Hundehaufen liegen lassen, die Zigarette – gerne brennend – wegschnippen, mit Graffiti schöne Wände besudeln.

Unsere Gesellschaft degeneriert merklich, und wir entwickeln uns zurück, woran „coole Kamotten“, Smartphones, jeglicher Hightech-Schnickschnack und Rekordzahlen bei Abiturienten und Studenten nicht das geringste ändern.

Vier Schwimmer bepinkeln Wand und müssen zahlen

Doch wie lässt sich eine Schamgrenze, die absackt, wieder anheben, wie lässt sich ein Verantwortungsgefühl erzeugen, wenn es elterliche und schulische Erziehung nicht zu tun vermögen? – Das ist äußerst schwierig, wenn schon Prinzen oder Fußballnationalspieler an Wände oder in Hotellobbys pinkeln. Wie gut ist es zu erleben, dass sich dieser Tage wenigstens ein paar „Falschpisser“ vor den Augen der ganzen Welt schämen müssen. Jeder weiß inzwischen, dass die vier US-Schwimmer um den US-Schwimmer Ryan Lochte in Rio de Janeiro nicht überfallen, sondern in einer Tankstelle zur Kasse gebeten wurden, weil sie eine Wand bepinkelten und daraufhin randalierten, was die brasilianische Polizei auf den Plan rief.

Die US-Presse nannte den Gold-und Silbermedaillengewinner in großen Lettern: „Die dümmste Glocke, die jemals geläutet hat.“ Das sind Worte, die wirklich auf einen „Wildpinkler“ zutreffen!

von

Günter Schwarz – 24.08.2016