„Erst stellen Sie Regeln auf, die nicht zwischen Kinderpornografie und berühmten Kriegsfotos unterscheiden. Dann setzen sie diese Regeln strikt durch, zensieren auch noch die Kritik und Diskussion über ihre Entscheidung und bestrafen den Kritiker.“ Mit diesen Worten hat sich Espen Egil Hansen, Chefredakteur der norwegischen Tageszeitung „Aftenposten“, an Facebook-Gründer und Chef, Mark Zuckerberg, gewandt. In dem von seiner Zeitung gedruckten und im Web veröffentlichten Brief zeigt er sich besorgt darüber, was Facebook einer der tragenden Säulen der demokratischen Gesellschaft zufüge, und unterstellt dem sozialen Netzwerk, Dummheit zu begünstigen.

Zu sehen war ein nacktes Mädchen. Und so löschte Facebook einen Beitrag der norwegischen Zeitung „Aftenposten“. Doch es ging um das wohl berühmteste historische Kriegsfoto des Vietnam Krieges. Deshalb fragt sich der Chefredakteur in einem offenen Brief an Konzernchef Zuckerberg: „Schadet Facebooks Zensur der Demokratie?“

Es begann vor zwölf Jahren mit einer kleinen Webseite, auf der die Nutzer Fotos von Kommilitonen anschauen und bewerten konnten. Facebook. Heute ist das soziale Netzwerk Facebook ein Medien-Gigant mit mehr als 1,7 Milliarden Mitgliedern und wird täglich von Hunderten Millionen Menschen genutzt. Alles lässt Facebook dabei jedoch nicht auf seinen Seiten erscheinen. Das Unternehmen hat Vorschriften, was es für publizierbar erachtet und was nicht. Bilder von nackten Kindern gehören nicht dazu.

Und so wurde die norwegische Tageszeitung „Aftenposten“ vergangenen Mittwoch von Facebook aufgefordert, ein Foto in einem Post zu entfernen oder zu pixeln. Dabei handelte sich um das weltberühmte Bild des nackten Mädchens Kim Phuc, das während des Vietnamkriegs vor einem Napalm-Angriff flieht. Die Aufnahme wurde 1972 zum Pressefoto des Jahres gewählt, der Fotograf Nick Ut erhielt dafür zudem den Pulitzer-Preis.

Nach Angaben des „Aftenposten“-Chefredakteurs Espen Egil Hansen wartete Facebook nicht auf eine Antwort der Zeitung – sondern löschte nicht einmal 24 Stunden nach der Beschwerde den Artikel und das Bild eigenmächtig vom Facebook-Account der Zeitung.

Zensur und ein Schaden für die Demokratie

Wütend und enttäuscht schrieb Hansen jetzt einen offenen Brief an den Facebook-Chef Mark Zuckerberg – veröffentlicht auf der Titelseite der Zeitung und natürlich auf ihrer Webseite sowie in sozialen Netzwerken. Facebooks selbsterklärter Leitspruch sei, „die Welt offener zu machen und besser zu vernetzen“, erinnert Hansen den Konzernchef. Doch dem werde das Unternehmen nur oberflächlich gerecht. „Du bist der mächtigste Herausgeber der Welt“, schreibt der Journalist weiter direkt an Zuckerberg gewandt. „Ich finde, Du missbrauchst diese Macht.“

Hansen wirft Zuckerberg vor, dass die von Facebook aufgestellten Regeln „nicht zwischen Kinderpornographie und berühmten Kriegsfotografien unterscheiden. Dann setzt Du diese Regeln durch, ohne Raum für Abwägungen zu lassen.“ Und dann zensiere Facebook auch noch Kritik und eine Diskussion über solche Entscheidungen.

Als Beispiel nennt Hansen den norwegischen Autor Tom Egeland, der vor einigen Wochen sieben Kriegsfotos bei Facebook gepostet habe, darunter auch das Bild der fliehenden Kim Phuc aus Vietnam. Auch damals wurde das Bild von Facebook gelöscht. Egeland habe diese Entscheidung kritisiert, prompt sei sein Account von Facebook blockiert worden. Er habe keine neuen Einträge veröffentlichen können.

„Einschränkungen in autoritärer Weise“

Die Bereitstellung von Informationen sei ein wichtiger Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft, schreibt Hansen. Und das soziale Netzwerk sei mittlerweile für Zeitungen ein wichtiger Vertriebskanal, den man auch gerne nutzen wolle. Doch er habe Angst davor, was für einen Schaden Facebook da anrichte. „Ich bin besorgt, dass das weltweit wichtigste Medium Freiheit einschränkt anstatt zu versuchen, sie zu vergrößern, und dass das zuweilen in einer autoritären Weise geschieht.“

Hansen fordert unterschiedliche Richtlinien je nach Region

„Aftenposten“-Chefredakteur Hansen hat ein paar Vorschläge, wie Facebook es künftig besser machten könnte. In multikulturellen und multireligiösen Zeiten sei es unmöglich, universelle Regeln für Veröffentlichungen in dem Netzwerk zu erlassen, erklärt er. Facebook müsse daher in unterschiedlichen Weltregionen unterschiedliche Richtlinien erlassen und sollte auch zwischen Redakteuren und anderen Nutzern unterscheiden. Außerdem sei es derzeit noch zu schwierig, mit Facebook in einen Dialog zu treten, weil immer nur standardisierte Antworten zurückkämen.

Facebook steht auch wegen seines Umgangs mit Nutzerbeiträgen immer wieder in der Kritik. Generell ist das Unternehmen unter Berufung auf seine „Gemeinschaftsstandards“ beispielsweise sehr aktiv beim Vorgehen gegen Fotos, auf denen Nackheit zu sehen ist, auch wenn diese in einem unverfänglichen Kontext stattfindet. Schwerer tut sich Facebook hingegen bei der Bekämpfung von Hassreden. Die Bundesregierung hat wiederholt ein schärferes Vorgehen gegen rassistische Inhalte gefordert – zuletzt im Zusammenhang mit Hetze gegen Flüchtlinge. Bundesjustizminister Heiko Maas verwies dabei auf die gesetzlichen Pflichten, die auch für Facebook gelten.

von

Günter Schwarz – 10.09.2016