Die Berlinerin Irmela Mensah-Schramm betätigt sich schon seit 30 Jahren als „Polit-Putze“ gegen Hass-Parolen vor Gericht und entfernt rechte Hassbotschaften aus dem öffentlichen Raum. Sie greift dabei auch regelmäßig selbst zur Spraydose, um Nazi-Graffiti zu übersprühen. Jetzt stand sie dafür das erste Mal vor Gericht.

UPDATE: Das Berliner Kammergericht erließ inzwischen einen Strafbefehl gegen Irmela Mensah-Schramm. „Der Richter hätte das Verfahren am liebsten wegen geringer Schuld eingestellt, aber die Staatsanwältin hat nicht zugestimmt“, sagte Gerichtssprecherin Lisa Jani.

„Ich warte jetzt die schriftliche Urteilsbegründung ab, und dann gehe ich in Berufung“, erklärte Irmela Mensah-Schramm am Donnerstag. „Und ich mache natürlich weiter.“ Das Bündnis „Berlin Nazifrei“ sowie einige Berliner Schulen kündigten am Donnerstag auf Facebook-Seiten an, für Mensah-Schramm Spenden zu sammeln.

Irmela Mensah-Schramm putzt. Sie putzt den öffentlichen Raum und befreit ihn von „Nazidreck“, wie sie sagt. Die ehemalige Heilpädagogin kratzt Aufkleber mit rassistischen Parolen von Laternenmasten und schrubbt Filzstift-Hakenkreuze von Bushaltestellen. Was sich nicht wegputzen lässt, wird kurzerhand mit Farbe übersprüht.

Genau das ist auch der Grund, weshalb Irmela Mensah-Schramm am Mittwoch vor einem Richter des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten sitzt. Der Vorwurf: Sachbeschädigung. Im Mai hatte die 70-Jährige in Zehlendorf aus einem „Merkel muß weg“-Schriftzug die Aufforderung „Merke! Hass weg!“ gemacht. Einen Anwalt hat sich Mensah-Schramm nicht genommen, sie verteidigt sich selbst. Den Richter fragt sie, weshalb sie für etwas angeklagt sei, für das sie normalerweise – sogar staatlich – ausgezeichnet werde. Eine Liste dieser Auszeichnungen legt sie ihm vor – angefangen von der Bundesverdienstmedaille 1994 bis zum Göttinger Friedenspreis 2015.

„Hass-Parolen werden zu Hass-Taten“

Irmela Mensah-Schramm ist auch bekannt unter dem Namen „Polit-Putze“, sie hat sich selbst so genannt. In den vergangenen 30 Jahren Aktivismus ist der selbstironische Name irgendwie hängengeblieben. Etwa drei Mal in der Woche geht sie auf Tour, ausgestattet mit ihrem selbstbemalten Jutebeutel auf dem „Gegen Nazis“ steht. Immer dabei: Nagellackentferner, Ceranschaber, Lappen und eben Spraydosen. In einen A4-Block klebt sie ihre „Fundstücke“ ein, die sie – wieder zu Hause angekommen – in Aktenordner sortiert. Auf diese Weise  hat sie bisher 83 solche Ordner mit fast 75.000 Aufklebern gefüllt. Dazu kommen Fotos, die sie von den Graffiti macht, die sie findet.

Die Absender der Propaganda, die Mensah-Schramm wegputzt, sind unterschiedlich, aber immer rechts: NPD-Anhänger und sonstige Revisionisten, Identitäre, Flüchtlingshasser. Geklebt und gesprüht wird überall in Deutschland, weswegen Mensah-Schramm auch im ganzen Land auf Tour geht. Im Sommer holt sie sich manchmal Rundreise – Tickets und ist dann einen ganzen Monat unterwegs. In den vergangenen zwei Jahren ist sie besonders häufig in Sachsen aktiv – in Dresden, Bautzen oder Freital. Mit Pegida, sagt sie, habe sich die Stimmung verändert, sei noch aggressiver geworden. „,Merkel muss weg‘ ist eine Pegida-Hass-Parole“, dafür tritt Mensah-Schramm auch vor Gericht ein. Für sie ist klar: Hassbotschaften führen zu Hasstaten.

Streit um Schriftzug im Zehlendorfer Fußgängertunnel

Im Mai dieses Jahres übersprüht sie deshalb den „Merkel muss weg“-Schriftzug in einem Zehlendorfer Fußgängertunnel. Begleitet wird sie dabei von zwei Journalisten der Financial Times – weil Teile ihrer Arbeit im Deutschen Historischen Museum zu sehen sind, wird sie in diesem Sommer oft von Medien porträtiert.

Das „Merkel muss weg“ hat laut Mensah-Schramm dort bereits seit Monaten gestanden. Als sie es schließlich mit pinker Farbe zu „Merke! Hass weg!“ verfremdet, ruft jemand die Polizei. Im Financial-Times-Artikel heißt es noch, normalerweise stelle sich die Polizei auf ihre Seite. Diesmal allerdings nicht. Irmela Mensah-Schramm wird angezeigt, Anfang September erhält sie den Strafbefehl. Wegen Sachbeschädigung soll sie 450 Euro zahlen. Irmela Mensah-Schramm legt dagegen Berufung ein, der Verhandlungstermin wird daraufhin für Anfang Oktober angesetzt.

1.800 Euro für Sachbeschädigung an Sachbeschädigung

Dass sie angezeigt wird, ist für Mensah-Schramm zwar nicht das erste Mal. Dass es jetzt wirklich ernst wird, schon. Denn die Staatsanwältin verneint, als der Richter fragt, ob man das Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellen könne. Mensah-Schramm, so die Staatsanwältin, habe durch ihr Übersprühen das Graffiti schließlich noch größer gemacht und zeige außerdem keine Reue. Im Plädoyer zweifelt sie die Vorbildwirkung dieses Protests an und fordert eine Geldstrafe von 1.800 Euro.

Mensah-Schramm verteidigt sich: staatliche Stellen unternähmen fast nie etwas, wenn sie auf solche Schmierereien hinweise. Für den Richter keine einfache Entscheidung: Dass die 70-Jährige die Wand besprüht hat, daraus macht sie keinen Hehl. Außerdem kündigt sie an, weiterzumachen wie bisher – aus Überzeugung.

Urteil: Verwarnung auf Bewährung

Nach gut 30 Minuten Verhandlung setzt der Richter das Strafmaß schließlich niedrig an und spricht gegen Mensah-Schramm eine Verwarnung aus – eine der mildesten Strafen, die das deutsche Recht kennt. Außerdem muss sie die Kosten des Verfahrens tragen. Nur wenn sie sich in einer Bewährungszeit von einem Jahr etwas zu Schulden kommen lässt, muss sie tatsächlich die Geldstrafe von 1.800 Euro zahlen.

Als Irmela Mensah-Schramm den Saal verlässt, überlegt sie, ob sie Berufung gegen das Urteil einlegen soll. Ein Jahr Bewährungszeit ist schließlich lang und „besorgte Bürger“ rufen gern die Polizei, wenn sie der rechten Propaganda zu Leibe rückt. Es wird also nicht ihre letzte Anzeige gewesen sein.

Mensah-Schramms Anti-Hass-Mahnung in Berlin-Zehlendorf ist übrigens nicht mehr zu sehen. Nach ihrer Aktion wurde das Graffiti innerhalb weniger Wochen überstrichen.

von

Günter Schwarz – 07.10.2016