(Washington) – Nur zehn Tage vor den Wahlen ist der US-amerikanische Präsidentschaftswahlkampf um eine Episode reicher: Überraschend hat FBI-Direktor James Comey mitgeteilt, neu aufgetauchte Emails von Hillary Clinton würden weitere Untersuchungen rechtfertigen. Was sind die Hintergründe?

Über den Inhalt weiß man im Moment nichts. Und auch über die genaue Zahl der neuen E-Mails weiß man nichts. Auch weiß man nicht, ob die Mails direkt von Clinton stammen. Das FBI sagt lediglich, die Mails hätten einen Bezug zu jener Untersuchung, die im Sommer abgeschlossen wurde und zum Schluss kam, dass Clinton zwar einen sorglosen Umgang mit E-Mails pflegte, aber keine Gesetze verletzt habe.

Hillary Clinton fordert das FBI auf, alle Informationen auf den Tisch zu legen. Es stellt sich die Frage, wird das geschehen?

Das ist denkbar, vor allem, weil Clinton ja selber mit einem solchen Schritt einverstanden ist. Ob es auch geschieht, ist eine andere Frage. Es kann auch sein, dass das FBI so arbeitet, wie immer, also: die E-Mails zuerst in aller Ruhe analysiert, schaut, ob sie tatsächlich Staatsgeheimnisse enthalten und, falls ja, ob dadurch auch das Gesetz gebrochen wurde. Ich könnte mir auch vorstellen, dass das FBI die Öffentlichkeit noch genauer informiert.

Aber klar ist, für Clinton wäre es wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler – und übrigens auch sie selber – möglichst schnell sehen, was in dieser elektronischen Post drin ist.

Jetzt brodelt die Gerüchteküche wieder. Und Donald Trump schlachtet das genüsslich aus. Er schießt aus allen Rohren und will sicherstellen, dass das Thema bis zum Wahltag nicht aus der Diskussion verschwindet.

Der FBI-Direktor, ein Republikaner, kommt mit seiner Ankündigung zehn Tage vor der Wahl. Das wirkt irgendwie orchestriert.

Die Frage ist, was hätte er sonst tun sollen? Warten, bis die Wahlen vorbei sind? Dann wäre aus dem Clinton-Skandal definitiv eine Staatskrise geworden, und man hätte FBI-Chef James Comey zu Recht vorwerfen können, er habe die Wahlen verfälscht.

FBI-Agenten haben Comey erst jetzt über den Fund informiert. Sie haben an einem anderen Fall gearbeitet – einer Untersuchung gegen den früheren Abgeordneten Anthony Weiner, der Sex-Nachrichten an eine Minderjährige geschickt haben soll. Weiner ist der Mann von Huma Abedin, einer engen Vertrauten Clintons. Und so sind die E-Mails Clintons dann wohl bei Weiner gelandet.

Dass der FBI-Chef über die Entdeckung jetzt informiert, spricht also eher für ihn und die Neutralität der Bundespolizei. Comey ist zwar Republikaner, das stimmt, aber das hat ihn in der Vergangenheit nicht daran gehindert, auch hart gegen Republikaner vorzugehen, und er hat ziemlich viel Prügel aus der eigenen Partei einstecken müssen, als er im Sommer empfohlen hatte, keine Anklage gegen Hillary Clinton zu erheben.

Donald Trump, der die Wahl schon fast verloren zu haben schien, frohlockt natürlich. Er hofft, die neuen Emails würden ihm Rückenwind geben. Hat er Recht? Man muss zuerst abwarten, bis erste neue Umfragen da sind. Fakt ist, er hat schon vor Bekanntwerden der neuen E-Mails leicht aufgeholt. Ich kann mir deshalb gut vorstellen, dass er jetzt noch mehr Terrain gut macht.

Jene Wählerinnen und Wähler, die Hillary Clinton nicht trauen, die glauben, sie habe etwas zu verstecken und könne Privates nicht von Amtlichem trennen, jene Leute fühlen sich jetzt bestärkt. Die Frage ist, was geschieht mit jenen Leuten, die Clinton wählen wollten – tun sie’s dennoch? Oder wechseln genügend viele von ihnen zu Trump oder bleiben am Wahltag daheim?

Die Antwort hängt auch davon ab, wie sich Clinton in den nächsten Tagen verhält – geht sie in die Offensive, hat sie gute Erklärungen. Derzeit versucht sie das Thema zu umschiffen, und an ihrer kurzen Medienkonferenz hat sie sogar behauptet, dass Comey nur Republikaner im Kongress informiert habe, was nicht stimmt. Und das kommt nicht gut an.

Angenommen Hillary Clinton schafft es ins Weiße Haus. Wird sie diese E-Mail-Geschichte weiterverfolgen? Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Vor allem, wenn die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten, und danach sieht es im Moment aus. Sie haben schon angekündigt, dass sie vom ersten Tag an Hearings abhalten und Untersuchungen durchführen würden, vielleicht sogar eine Amtsenthebung anstreben. Sicher aber wollen sie die Politik der Clinton-Regierung blockieren. Alles mit dem Ziel, bei den Zwischenwahlen 2018 gross abzuräumen.

von

Günter Schwarz  – 30.10.2016