Wenige Tage vor der US-Präsidentenwahl kommt es zum unpassendsten Moment zu einem dramatischen Einbruch in den Umfragewerten der demokratischen Präsidentschaftskandidatin  Hillary Clinton. Sie lag in Umfragen zwölf Punkte vor dem republikanischen Gegenkandidaten Donald Trump – bis sie die als erledigt geglaubte E-Mail-Affäre im Endspurt des US-Wahlkampfes wieder einholte. Plötzlich sind es jetzt die Demokraten, die eine Verschwörung wittern.

Der Einbruch könnte dramatischer kaum sein. Zehn Tage vor der US-Präsidentschaftswahl liegt Hillary Clinton nur noch einen Punkt vor ihrem Rivalen Donald Trump. In einer am Sonntag veröffentlichten Erhebung des TV-Senders ABC News in Kooperation mit der „Washington Post“ kam die demokratische Kandidatin nur auf 46 Prozent, Trump dagegen auf 45 Prozent. Der Kandidat der Liberalen, Gary Johnson, käme in dieser Umfrage auf vier Prozent, der Grüne Jill Stein auf zwei Prozent.

In einer direkten Wahl zwischen Trump und Clinton vereint die Demokratin noch 49 Prozent der Wählerstimmen hinter sich, Trump 46. Demnach hätte rund ein Drittel der unentschlossenen Wähler gesagt, dass sie sich im Zuge der neuen FBI-Erkenntnisse nicht mehr für Clinton entscheiden würden.

Für die Erhebung wurden 1.268 Wahlberechtigte zwischen dem 25. und 28. Oktober befragt. Inklusive des Freitags, als FBI-Chef James Comey die Clinton-Affäre wieder aufflammen ließ.

Comey hatte gegenüber Kongressabgeordneten gesagt, neue E-Mails seien auf dem Computer des früheren demokratischen Politikers Anthony Weiner gefunden worden. Gegen diesen wird wegen Sex-Nachrichten an eine Jugendliche ermittelt. Die Ermittlungen gegen Clinton waren eigentlich schon im Sommer abgeschlossen.

FBI wusste wohl schon seit längerem von E-Mails

Am Sonntag verlautete jedoch nun aus Kreisen der US-Strafverfolgungsbehörden, dass die neu aufgetauchten E-Mails offenbar schon seit Wochen innerhalb des FBI bekannt gewesen waren. Die Ermittler im Fall Anthony Weiner seien sich der Existenz und der möglichen Relevanz für die Ermittlung gegen die frühere Außenministerin und demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton bereits länger bewusst gewesen, hieß es.

Warum die Enthüllungen gerade jetzt ans Tageslicht kamen, lässt Spielraum für Spekulationen. Das Team der Demokratin hatte Comey dafür kritisiert, dass er nicht mehr Informationen zu den Ermittlungen preisgebe und damit in der heißen Phase des Wahlkampfs fehlgeleiteten Spekulationen Tür und Tor öffne.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump hatte die Untersuchungen begrüßt. „Das System ist vielleicht doch nicht so sehr manipuliert, wie ich es vermutet hatte“, sagte er. Trump forderte seit langem eine strengere strafrechtliche Verfolgung Clintons und kündigte im Falle seines Wahlsieges eine eingehende Untersuchung an.

Für Clinton kommen die neuen Enthüllungen ohnehin zur Unzeit. Vor einer Woche wollten in dieser Umfrage noch 50 Prozent der Befragten für Clinton stimmen, während sich 38 Prozent für Trump als nächsten US-Präsidenten aussprachen. Ganze zwölf Prozentpunkte weniger! Dieses war die höchste Zustimmungsrate für Clinton seit Beginn des Wahlkampfs und gleichzeitig der schlechteste Wert für den Immobilienmogul. Die Wahl findet in der kommenden Woche am Dienstag, den 8. November, statt.

von

Günter Schwarz  – 01.11.2016