(Aabenraa) – Im Haus Nordschleswig in Aabenraa beleuchtete Frank Lubowitz, der Leiter des Archivs und der Historischen Forschungsstelle, die Situation der deutschen Kriegsflüchtlinge aus dem Osten in den Jahren zwischen 1945 und 1949, die es nach Dänemark verschlagen hat.

Mit 65 Gästen am Montagabend erlebten einen erfolgreichen Auftakt mit den „Schleswigschen Gesprächen – deutsch-dänische Begegnungen“. Das Thema „Die Aufnahme und Versorgung von deutschen Flüchtlingen in Dänemark 1945-1949“, das sowohl Zeitzeugen, die lebendig ihre Erinnerungen mitteilten, als auch Interessierte, denen diese Zeit in der Familienüberlieferung präsent war, ließ Interessierte im Haus Nordschleswig zusammenkommen.

Der Referent, Frank Lubowitz, Leiter des Archivs und der Historischen Forschungsstelle der deutschen Volksgruppe, schilderte in seinem Vortrag die bedrohliche Situation im Januar/Februar 1945, als Ostpreußen durch einen sowjetischen Vorstoß an die Ostsee eingekesselt wurde, und der Seeweg über die Ostsee zu einem der letzten Fluchtmöglichkeiten wurde. Zugleich machten sich die Menschen aus Pommern auf dem Landweg auf die Flucht. 245.000 Flüchtlinge sollten in den folgenden Wochen nach Dänemark gelangen, 23.000 von ihnen nach Nordschleswig. Unter den Bedingungen der deutschen Besetzung Dänemarks wurden die Flüchtlinge von der Wehrmacht in Schulen und Versammlungshäusern untergebracht. In Nordschleswig errichtete die nationalsozialistische Volksgruppenführung das „Flüchtlings-Hilfswerk Nordschleswig“ und bemühte sich, die Flüchtlinge, soweit es möglich war, bei Angehörigen der deutschen Volksgruppe privat unterzubringen. 

Dramatisch verschlechterte sich die Situation für die Flüchtlinge bei Kriegsende, als man im befreiten Dänemark nicht mehr erhoffte, neben der Wehrmacht auch die Flüchtlinge wieder aus dem Lande entfernen zu können.

Während aber das Militär das Land verließ, blieben die Flüchtlinge, da die Alliierten die deutsche Grenze für Zivilisten geschlossen hatten. Im zerstörten Deutschland stellte sich die Lage der Flüchtlinge katastrophal dar, und man sah sich nicht in der Lage, eine weitere viertel Million Menschen aufzunehmen. Dänemark musste sich daher mit einer „zweiten Besetzung“ diesmal vor allem durch Frauen und Kinder abfinden und begann ab September 1945 mit dem Aufbau einer Flüchtlingsverwaltung, die zunächst erst einmal eine systematische Registrierung der Flüchtlinge durchführen musste.  Sie sorgte auch dafür, dass sich die Lebensumstände und vor allem die Lebensmittelversorgung verbesserte: Ab Januar 1946 waren 2.500 Kalorien vorgesehen, was im Vergleich zu dem, was es in Deutschland zu der Zeit auf „Lebensmittelmarken“ gab, verhältnismäßig viel war, wie der Referent betonte. Allerdings war natürlich von Lager zu Lager die Qualität des ausgegebenen Essens unterschiedlich. 

Als demütigend wurde von vielen Flüchtlingen die Unterbringung in Lagern, die von der „Civile Beredskab“ (Zivile Bereitschaft) bewacht wurden, angesehen. Aber auch hier war es von dänischer Seite verständlich, dass nach der deutschen Besetzung des Landes, die viel Bitterkeit hervorgerufen hatte, eine Trennung der Flüchtlinge von der dänischen Bevölkerung erfolgte. Auch die in Nordschleswig privat untergebrachten Flüchtlinge wurden ab Spätsommer/Herbst 1945 in die Flüchtlingslager gebracht, von denen das Lager Oxbøl bei Varde an der Westküste Jyllands (Jütlands) mit 35.000 Flüchtlingen das größte war und nach der Zahl seiner Bewohner zur sechstgrößten „Stadt“ Dänemarks geworden war. 

Das Gelände des Lagers Oxbøl, das vorher ebenfalls von der Wehrmacht genutzt worden war, wurde von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben und war in Blöcke aufgeteilt. Ein Block bestand aus bis zu zehn Baracken. Die Blöcke hatten Buchstaben, die Baracken Nummern, eine „Hausnummer“ konnte also zum Beispiel „B 1“ lauten. In jedem Raum der Baracken waren 12 bis 20 Menschen untergebracht: Männer, Frauen, Kinder. Es gab Doppelstockbetten und jeder versuchte, seinen Bereich mit Decken abzutrennen, um ein bisschen Privatsphäre zu haben. Der Kanonenofen, der mitten im Zimmer stand, konnten im Winter mit Torf beheizt werden, der in großen Haufen angeliefert wurde.

Zu jedem Block gehörte eine Großküche, von der wir unser Essen holen mussten. Die Verpflegung war nicht sehr abwechslungsreich, aber ausreichend. Gehungert hat niemand. Frisches Obst und Gemüse gab es allerdings nur kaum. Ein wenig Abwechslung bot im Sommer ein See am Lager, in dem die Lagerbewohner baden durften. Die erlaubte Grenze war durch Bojen gekennzeichnet. Hin und wieder gab es auch einmal Filmvorführungen im Lager, die sich großer Beliebtheit erfreuten.

Lubowitz schilderte die schwierigen Lebensumstände in den Lagern, in denen es beispielsweise im strengen Winter 1946/47 an Heizmaterial mangelte, aber auch die Organisation von Schule – bis hin zum Abitur, kirchlichem Leben und kulturellen Angeboten. Er ging auch auf die Situation um Gesundheitswesen und die Kindersterblichkeit ein, über die es aufgrund einer dänischen Untersuchung vor ca. 15 Jahren eine Diskussion gegeben hatte. 

Die angeregte Diskussion im Anschluss an den Vortrag zeigte das große Interesse und die starke Betroffenheit, die dieses Kapitel der jüngeren deutsch-dänischen Geschichte auch heute noch auslöst. 

von

Günter Schwarz  – 03.11.2016