Seit fast 50 Jahren ist Camp Century verlassen und jetzt taut die giftige US-Militärstation auf. Die ehemalige US-Militärstation in Grønland, begraben von einer mehr als 30 Meter dicken Eisschicht, verursacht in Grønland einiges Kopfzerbrechen und jede Menge Ärger. Beruhigend, dachten noch die Amerikaner als sie abzogen – und Tausende Tonnen Abfall und giftige Stoffe hinterließen. Eine Sorglosigkeit, die der Klimawandel jetzt rächen könnte. 

Weite weiße Landschaft, bizarre Eisformationen, kristallklares, blaues Wasser – Grønlands Natur kann einem den Atem rauben. Doch unter dieser romantischen Schneelandschaft tickt eine Bombe. In rund 65 Metern Tiefe lauern Abfälle, die durch die Eisschmelze wieder an die Oberfläche kommen können. Das fürchten zumindest amerikanische Wissenschaftler. Zwischen Grønland und Dänemark ist nun ein Streit darüber entbrannt, wer für die Entsorgung verantwortlich ist. Und dazu muss man 50 Jahre in die Geschichte zurückgehen.

Zu Zeiten des Kalten Krieges, in denen Russland und die USA sich ein Wettrüsten lieferten, bauten die Amerikaner unter dem Eis von Grönland militärische Anlagen und Abschussbasen für Atomraketen. Von hier aus würden die Bomben schneller ihr Ziel erreichen – so der Gedanke damals. Das Projekt trug den Namen „Iceworm“ (Eiswurm) und hatte zum Ziel, 600 Atomraketen zu beherbergen. Die Station, die ab 1959 acht Meter unter der Oberfläche gebaut wurde, war mit 85 bis 200 Soldaten besetzt. Für Strom sorgte ein tragbarer Atomreaktor. Außerdem gab es ein weitreichendes Tunnelnetz.

Niemand rechnete mit dem Klimawandel

Nicht einmal Dänemark, zu dem das selbst verwaltete Grønland gehört, wusste damals, was die Amerikaner im Eis trieben. Offiziell wollte man im Camp Century wissenschaftliche Experimente unter arktischen Bedingungen durchführen. Die Wahrheit kam erst 1995 ans Licht, als das dänische Parlament eine Untersuchung in Auftrag gab.

Da war das Camp Century längst Geschichte. Denn das Eis war zu sehr in Bewegung und schon nach drei Jahren beschlossen die Amerikaner, die Basis wieder aufzugeben. 1967 wurde sie endgültig stillgelegt. Aufräumen hielt man nicht für notwendig, weil man davon ausging, dass die inzwischen 36 Meter dicke Schicht aus Eis und Schnee alles konservieren werde. Mit dem Klimawandel hatte man nicht gerechnet.

Schmilzt das Eis von Grønland weiter so schnell, ist es wahrscheinlich, dass das Camp Century innerhalb der nächsten 75 Jahre wieder auftaucht, heißt es in einer Studie, die amerikanische Wissenschaftler in der Zeitschrift „Geophysical Research Letters“ veröffentlicht haben. Und das heißt: 9.200 Tonnen Abfall, 200.000 Liter Dieselkraftstoff und PCB (krebsauslösende organische Chlorverbindungen) sowie 24 Millionen Liter Abwasser, unter anderem Kühlwasser aus dem Kernreaktor, geraten an die Oberfläche und mischen sich mit Meerwasser.

Grønland will Dänemark und USA zum Säubern verdonnern

Die Grønländer sind besorgt. Denn Camp Century ist nicht die einzige Station der Amerikaner, die im Eis schlummert. „In Grønland gibt es mehr als 30 aufgegebene amerikanische Militärinstallationen, bei denen die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen von zurückgelassenem Abfall nicht ermittelt wurden“, sagt Nunanut Allanut Pisortaqarfik vom grønländischen Außenministerium. Im November will das Parlament beschließen, dass Dänemark und die USA offiziell aufgefordert werden, die Entsorgung der Militärstationen in die Wege zu leiten.

„Der Verursacher oder in diesem Fall diejenigen, die die Verschmutzung akzeptiert und genehmigt haben, müssen aufräumen“, fordert der zuständige Minister Vittus Qujaukitsoq in einem Artikel für die dänische Zeitung „Berlingske“. Die US-Regierung habe die Militäranlagen nach dem Abzug offiziell an Dänemark übergeben. Aus diesem Grund sei Dänemark federführend für die Abwicklung und etwaigen Schadenersatz verantwortlich.

Grønland verliert Geduld

Die dänische Regierung will das Problem gar nicht von sich weisen, doch 75 Jahre sind eine lange Zeit, meint Außenminister Kristian Jensen. „Die möglichen Auswirkungen des Klimawandels stellen kein dringendes Umweltproblem dar. Vielmehr handelt es sich um eine langfristige Herausforderung, die wir in Zusammenarbeit mit den zuständigen dänischen Behörden und im engen Dialog mit Grønland angehen müssen.“ Die Regierung in København prüfe nun, die bestehende Klimaüberwachung auf das Gebiet um Camp Century auszudehnen.

Der Wissenschaftler und Mitautor der Studie, William Colgan, freut sich, dass seine Untersuchung dazu geführt hat, dass das Thema endlich ernst genommen wird. Weil weder Dänemark noch Grønland ihre Arbeit finanziell unterstützen wollten, mussten die Wissenschaftler nach Feierabend und an den Wochenenden daran arbeiten. „Wir unterstützen die Idee einer permanenten Überwachung des Camp Century“, so Colgan. Auch er meint, dass die Abfälle vorerst keine Gefahr darstellten.    

Die Grönländer aber wollen sicher sein, dass jemand tatsächlich die Verantwortung übernimmt. „Nach vielen Jahren des Wartens, dass sich die Verursacher um die Entsorgung kümmern, verliert Grønland langsam die Geduld mit den wechselnden dänischen Regierungen und ihren vagen Ankündigungen“, sagte der zuständige Minister Qujaukitsoq.

von

Günter Schwarz – 03.11.2016