(Budapest) – Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán muss bei seinen Plänen für eine restriktivere Flüchtlingspolitik erneut einen Rückschlag hinnehmen. Eine Verfassungsänderung, mit der sich Orbán gegen die EU-Aufnahmequote für Flüchtlinge sperren wollte, fiel am Dienstag im Parlament durch. Der Antrag auf eine Verfassungsänderung erhielt gestern im Parlament in Budapest nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit.

Alle 131 Abgeordneten der Regierungsparteien, der rechts-konservativen FIDESZ und der Christdemokraten (KDNP), waren für die Vorlage. Das waren zwei Stimmen zu wenig, für eine Zweidrittelmehrheit wären 133 Stimmen notwendig gewesen. Die restlichen Abgeordneten, darunter die Abgeordneten der Linksparteien und auch der rechtsextremen Jobbik-Partei, enthielten sich.

Abstimmung gegen EU-Pläne

Der von Orban vorgelegte Gesetzesentwurf richtete sich gegen die EU-Pläne zur Umverteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedsstaaten. Orban wollte die Verfassung des Landes ändern, um abzusichern, dass kein EU-Beschluss die „verfassungsmäßige Identität“ Ungarns verändern darf. Verhindert werden sollte „die kollektive Ansiedlung von Ausländern in Ungarn gegen den Willen des Volkes“.

Der Regierungschef hatte gesagt, damit solle das Ergebnis der Volksbefragung vom Oktober gewürdigt werden. Bei der Volksbefragung hatten zwar mehr als 98 Prozent der Teilnehmer des Referendums die von der EU geplanten Quoten abgelehnt. Die Abstimmung war allerdings ungültig, weil sich nur 40 Prozent der Wahlberechtigten daran beteiligt hatten. Orbán hält die EU-Flüchtlingspolitik für falsch und sieht darin ein Risiko für die Sicherheit Europas.

Jobbik-Chef stellte Bedingungen

Die Verfassungsänderung hätte mit den Stimmen der Jobbik-Abgeordneten gebilligt werden können. Jobbik-Chef Gabor Vona machte jedoch die Zustimmung seiner Fraktion davon abhängig, dass die Regierung Orban jene Regelung abschafft, die es reichen Nicht-EU-Ausländern ermöglicht, sich das Niederlassungsrecht in Ungarn und damit in der EU zu erkaufen. Orban wollte sich aber darauf nicht einlassen. Jobbik-Abgeordnete hielten bei der Abstimmung ein Transparent hoch: „Ein Hochverräter ist der, der für Geld Terroristen ins Land lässt.“

Jobbik erklärte, die Verfassungsänderung könne dennoch innerhalb von 24 Stunden abgesegnet werden, wenn im Gegenzug der Verkauf von Aufenthaltstiteln eingestellt werde. Vona forderte zugleich, die bisher erfolgten Geschäfte unter nationalen Sicherheits- und wirtschaftlichen Aspekten zu durchleuchten. Jobbik kritisierte die seit 2013 zumeist über Offshorefirmen verkauften Aufenthaltsrechte schon länger als „dreckiges Geschäft“. Sie seien ein Risiko für die nationale Sicherheit und könnten auch von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) missbraucht werden.

„Zwei Ohrfeigen für Orbán“

In einem Monat „zwei Ohrfeigen für Orbán“, kommentierte der Chef der oppositionellen Demokratischen Koalition (DK), Ferenc Gyurcsany, das Scheitern der Vorlage. Die Sozialisten sprachen von der teuersten Abstimmung aller Zeiten. Die vorangegangene eineinhalbjährige „Hass-und Lügenkampagne“ habe rund 20 Milliarden Forint (etwa 65 Mio. Euro) verschlungen.

FIDESZ-Fraktionschef Lajos Kosa beschuldigte die Opposition, den „Willen der Menschen“ zu ignorieren. Das Parlamentsvotum habe gezeigt, dass sich „das Land im Kampf gegen die EU-Zwangsquoten nur auf die Regierungsparteien FIDESZ-MPSZ und Christdemokraten verlassen kann“, so Kosa. Solange FIDESZ an der Macht sei, werde niemand Fremde in Ungarn verbindlich ansiedeln können.

Die Ablehnung durch das Parlament bedeutet einen Rückschlag für den seit 2010 regierenden Orbán. Beobachtern zufolge könnte das Votum vom Dienstag der Auftakt eines Machtkampfs zwischen Orbans FIDESZ und Jobbik vor der für 2018 angesetzten Parlamentswahl sein.

von

Günter Schwarz  – 09.11.2016