(London) – Rund fünf Monate nach dem „Brexit“-Referendum fehlt es der britischen Regierung laut dem Bericht eines Regierungsberaters noch immer an einer Gesamtstrategie für den geordneten EU-Austritt. So jedenfalls zitierte es die Zeitung „The Times“ aus dem ihr vorliegenden Papier. Darin heißt es unter anderem, dass die Regierung in der „Brexit“-Frage gespalten und überfordert sei und man bis zu 30.000 zusätzliche Beamte brauche. Die Regierung wies den Bericht zurück und betonte, ihn nicht in Auftrag gegeben zu haben und sagt: „Es handelt sich um kein Regierungspapier.“

In dem auf den 7. November datierten Bericht, der von einem Regierungsberater stammen soll, heißt es der Zeitung „The Times“ zufolge, es gebe „mehr als 500 verschiedene Projekte“ im Zusammenhang mit dem „Brexit“, aber „keine gemeinsame Strategie“. Jedes Ministerium verfüge über eigene Vorhaben, einen gemeinsamen Regierungsplan gebe es aber nicht.

Verzögerung um sechs Monate?

Premierministerin Theresa May verliere sich stattdessen in Details. Außerdem sei May nicht gut im Delegieren, was bei einem komplexen Thema wie dem EU-Austritt Großbritanniens problematisch sei. Es könnte weitere sechs Monate dauern, bis die britische Regierung intern Einigung über die Prioritäten für den „Brexit“ erzielt hat. Wegen der Komplexität der Aufgabe brauche die Regierung 10.000 bis 30.000 zusätzliche Mitarbeiter.

Grund für die Verzögerung sei auch ein Richtungsstreit zwischen den drei „Brexit“-Befürwortern – Außenminister Boris Johnson, Handelsminister Liam Fox und „Brexit“-Minister David Davis – auf der einen und Schatzkanzler Philip Hammond und Wirtschaftsminister Greg Clark auf der anderen Seite.

Zusätzlich sei zu erwarten, dass wichtige Akteure der Industrie „eine Waffe an den Kopf der Regierung“ halten dürften, um ihre Interessen durchzusetzen. Hintergrund dieser Annahme ist ein Deal der britischen Regierung mit dem Autohersteller Nissan, dem für den Verbleib in Großbritannien Steuervorteile zugesichert wurden. Das Dokument mit dem Titel „Brexit Update“ sei von einem Regierungsberater vom Consulting-Unternehmen Deloitte angefertigt worden.

„Kein Regierungsbericht“

Die Regierung wies den Bericht zurück. „Das ist kein Regierungsbericht, und wir erkennen die darin erhobenen Behauptungen nicht an“, sagte ein Sprecher von May der Nachrichtenagentur AFP. „Wir konzentrieren uns auf die Aufgabe, den Brexit umzusetzen und zum Erfolg zu bringen.“

Die britische Bevölkerung hatte am 23. Juni in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Ausstieg ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt. May, die nach dem Rücktritt von Premierminister David Cameron ins Amt kam, hatte angekündigt, Ende März den Austrittsprozess zu starten. Das erfordert die Aktivierung von Artikel 50 des EU-Vertrags von Lissabon.

„In keinem Fall so eine Herausforderung“

Auch Verkehrsminister Chris Grayling sagte, er habe keine Idee, woher der Bericht komme. Er bestritt, dass die Regierung ihn in Auftrag gegeben habe. „Der Prozess ist komplex, aber in keinem Fall so eine Herausforderung, wie es in dem heutigen Bericht dargestellt wird“, so Grayling zum Radio der BBC. Er habe ein Team in seiner Abteilung, das am „Brexit“ arbeite, sehe das beschriebene Ausmaß an Herausforderung aber nicht.

Nach der kolportierten Einstellung von bis zu 30.000 zusätzlichen Beamten gefragt, sagte Grayling, es gebe in seinen Augen nichts, was darauf hindeute. Man habe bereits Leute, die am „Brexit“ arbeiten. Er wüsste nicht, was 30.000 zusätzliche Personen tun sollten.

von

Günter Schwarz – 16.11.2016