Zur Klärung dieser Frage sollten wir mit einem Gedankenexperiment beginnen: Was wäre beispielsweise in den internationalen Medien los, welche Welle der Empörung würde durch Deutschland und Europa schwappen, falls der Deutsche Bundestag in Berlin folgenden Beschluss formuliert und angenommen hätte:

„Der Deutsche Bundestag stellt mit Bekümmern fest, dass es aktuell in Deutschland Gebiete gibt, in denen der Anteil der Einwanderer und Nachkommen aus nicht-westlichen Ländern, sich auf über 50 Prozent beläuft. Es ist die Auffassung des Deutschen Bundestages, dass Deutsche nicht eine Minderheit in Wohngebieten in Deutschland darstellen sollten.“

Im Folketing wurde die oben zitierte Passage (tauschen Sie Deutschland und deutsch mit Dänemark und dänisch aus) mit den Stimmen von Venstre, Dansk Folkeparti, Det Konservative Folkeparti, Liberal Alliance angenommen. Ironie am Rande: Für die Konservativen hat der syrisch-stämmige Däne (oder auch nicht?) Naser Khader den Vorschlag ausgearbeitet.

Vor allem die Formulierung „Nachkommen von nicht-westlichen Einwanderern“ ist hoch problematisch. Denn wann – diese Frage stellt sich doch umgehend – ist man als Nachfahre von Einwanderern dänisch genug, um Däne zu sein? Und wer legt dafür die Kriterien fest? (Die Dansk Folkeparti war schnell mit einer Lösung zur Hand, die sich auf den Verzehr von Schweinefleisch und das Begehen christlicher Feiertage reduzieren lässt.)

Nun liegt in der Beschlussfassung des Parlaments keine weitere Aussage darüber vor, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, um den „Missstand“ im Sinne einer Steigerung des dänischen Bevölkerungsanteils zu beheben. Zwangsaussiedlungen oder doch vielleicht eher finanzielle Anreize, fallen einem dabei als Möglichkeiten einer „re-Danisierung“ der betreffenden Wohngebiete ein. Der (dänische) Bürgermeister der Gemeinde Brøndby Strand, die durch die Folketingsdefinition in diese Kategorie fällt, meldete sich mit harschen Worten an die Folketingspolitiker. Diese diskreditieren seine Gemeinde und Bewohner, das wollte der Bürgermeister sich nicht gefallen lassen und erntet dafür viel Sympathie.

Die altehrwürdige liberale Partei Dänemarks, Venstre, hat auch kurzzeitig ihr Haupt in Form von einigen Abgeordneten erhoben, die „bedröppelt“ betonten, man habe sich wohl etwas klodset (tollpatschig) formuliert. Eine Einsicht, die aber umgehend von der Parteileitung eingefangen wurde. Die Regierung steht zu dem Beschluss.

Die Socialdemokraterne fanden das alles ganz undramatisch und während die Debatte lief, trafen sich in trauter Zweisamkeit die Vorsitzenden von Dansk Folkeparti und Socialdemokraterne zu einem breit angelegten Doppelinterview für die Zeitung. Damit wäre wohl auch der letzte Stein einer rot-gelben (in Deutschland würde man rot-braun sagen) Koalition nach der nächsten Wahl aus dem Wege geräumt.


Parteivorsitzender der Dansk Folkeparti, Kristian Thulesen Dahl, und Parteivorsitzende der Socialdemokraterne, Mette Frederiksen, im Gespräch.
Man mag über die Besonderheiten der dänischen Politik den Kopf schütteln. Doch bleibt es nicht aus, dass man sich bei so national-fokussierter Rhetorik als Angehöriger einer nationalen Minderheit Gedanken macht. Wer ist dann Bitte noch ein Däne, wer darf sich dazu gehörend zählen? Sind diejenigen, die der deutschen Minderheit angehören, noch genug dänisch, mit dem dänischen Pass und Affinität zum Deutschen, als Bürger Dänemarks zu gelten? Und sind die „Dänen“ südlich der Grenze noch „richtige“ Dänen, obwohl sie trotz gefühlsmäßiger Bindung an Dänemark einen deutschen Personalausweis und Pass bei sich tragen?

Nun schließt der vorliegende Antrag „nur“ Nachkommen von „nicht-westlichen Zuwanderer“ in die Liste der „nicht-Dänen“ ein – und die Angehörigen der deutschen Minderheit sind bekanntlich nicht zugewandert. Aber ein Unbehagen kann man bei der Diskussion nicht leugnen. Ein Aufteilen in „die und wir“ ist für die Festigung einer Binnenidentität bekanntlich ein wirksames Mittel – auch politisch. Es ist aber ein Weg – das hat die Geschichte mehrmals gelehrt – der schnell ins Desaster führen kann. – Und besonders Deutschland kann aus leidvoller Erfahrung „ein Lied davon singen“!

von

Jan Diedrichsen / Günter Schwarz – 02.04.2017