Die Korrespondenten weisen darauf hin, dass die von türkischen Medien verbreiteten Zahlen zum Ergebnis des Verfassungsreferendums mit Vorsicht zu genießen sind. Präsident Erdoğan spricht bereits vom Sieg.

Die Türken haben über mehr Macht für den Staatspräsidenten abgestimmt. Rund 55 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, über die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan angestrebte Verfassungsänderung zu entscheiden. Beobachter kritisieren einen unregelmäßigen Abstimmungsverlauf.

  • Nach Auszählung von 98,2 Prozent der Stimmen haben 51,3 Prozent der Türken Ja zur Verfassungsänderung gesagt. Gegen das Präsidialsystem hätten 48,7 Prozent gestimmt, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.
  • In der größten türkischen Stadt Istanbul, in Izmir und in der Hauptstadt Ankara liegen die Gegner knapp vorn.
  • Staatschef Recep Tayyip Erdoğan spricht bereits von einem „Sieg“ und gratulierte Ministerpräsident Binali Yildirim.
  • Mit der fortschreitenden Auszählung nahm der Anteil der „Ja“-Stimmen ab. Die Zahlen sind aber alle noch inoffiziell.
  • Ministerpräsident Binali Yildirim kündigte für 20:00 Uhr eine Erklärung in Ankara an.

Die Korrespondenten in der Türkei weisen darauf hin, dass die von türkischen Medien verbreiteten Zahlen zum Ergebnis des Verfassungsreferendums mit Vorsicht zu genießen sind. Es werde nur angegeben, wie viel Prozent der Urnen geöffnet sind, nicht aber, wie viele Stimmen effektiv ausgezählt sind. Allein die Wahlkommission veröffentliche die offiziellen Zahlen und sie melde derzeit erst etwas mehr als 50 Prozent ausgezählter Stimmen.

Laut der Agentur Anadolu gibt es einen hohen Ja-Stimmen-Anteil in Zentralanatolien, während die Nein-Stimmen in den Küstenregionen der Ägäis und dem kurdischen Südosten des Landes überwiegen.

Erdoğan -Lager: Es gab eine faire Chance

Der Berater von Präsident Erdoğan, Mustafa Akis, sagte in Ankara, er rechne mit einem Sieg beim Referendum. Der Abstimmungskampf sei aus seiner Sicht fair verlaufen. „Ich glaube, alle hatten gleiche Chancen. Ich habe keine Ungleichheiten gesehen.“

Oppositionsvertreter in der Wahlkommission bestätigten die ersten Resultate allerdings nicht. Laut dem Vertreter der Oppositionspartei CHP in der Wahlkommission, Mehmet Hadimi Yakupoglu, seien bislang deutlich weniger Stimmen ausgezählt, als das die Agentur Anadolu vermelde.

Auch der Vertreter der pro-kurdischen HDP in der Kommission, Attila Firat, sagte, die Wahlkommission habe noch nicht annähernd so viele Stimmen ausgezählt.

Aus Sicht der Regierung ist die Zustimmung beim Referendum geringer als erwartet. „Wir sehen, dass wir in manchen Provinzen nicht die erwartete Anzahl Ja-Stimmen bekommen haben“, sagte Vize-Ministerpräsident Veysi Kaynak. „Daran werden wir arbeiten.“ Er betonte, eine einfache Mehrheit der Stimmen reiche aus: „In allen Demokratien ist der ausreichende Anteil 50,1 Prozent.“

Einschätzung von Korrespondenten in Istanbul:

„Man muss sagen, dass es in der Türkei ein Verbot gibt, bis 21:00 Uhr Resultate zu publizieren. Die Regierungsmedien haben diesen Bann unmittelbar nach Schließung der Wahllokale ignoriert. Jetzt werden inoffizielle unbestätigte Zahlen veröffentlicht, die einen hohen Sieg der Befürworter der Verfassungsänderung zeigen. Die Zahlen schwanken aber. Zuerst war der Ja-Anteil mit weit über 60 Prozent angegeben worden, jetzt nach Auszählung von drei Viertel der Stimmen sind es noch 55 Prozent. Man muss abwarten, was die Zahlen wert sind.“

Die Abstimmung gilt als einer der bedeutendsten Entscheide in der türkischen Gesellschaft seit der Gründung der Republik 1923 an. Das Land ist seit Jahrzehnten eine parlamentarische Demokratie. Auf Drängen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan stimmt die Bevölkerung nun über einen Wandel des politischen Systems ab.

Alle Macht dem Präsidenten

Die Verfassungsreform für ein Präsidialsystem ist umstritten, weil sie dem Präsidenten praktisch die ganze exekutive Macht in die Hände legt und die Gewaltenteilung größtenteils aufhebt. Das Parlament würde massiv geschwächt, und der Präsident könnte direkt und indirekt Einfluss auf die Justiz nehmen.

von

Günter Schwarz – 16.04.2017