Es erweist sich als eine schwere Schlappe für die öffentlich-rechtlichen „Aufseher der Meinungsbildung“. Der deutsch-französische Fernsehsender Arte löste mit seiner Entscheidung, einen Dokumentarfilm zum Thema Antisemitismus nicht auszustrahlen, eine Debatte aus.

Der Dokumentarfilm sorgt in Deutschland für Diskussionen. Wohl auch, weil sie zeigt, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem von Rechtsextremen ist, sagt eine Historikerin. Der Film wirft unter anderem Hilfswerken und linken Verbänden vor, Antisemitismus zu befördern. Die starke Kontroverse erklären sich Historiker unter anderem damit, dass der Film Antisemitismus nicht nur als Phänomen der Rechten begreift.

„Auserwählt und ausgegrenzt“: Diese Dokumentation zum Thema Antisemitismus sorgt in Deutschland derzeit für Diskussionen – obwohl sie nur kurz zu sehen war.

Der Film wurde von Arte in Auftrag gegeben und vom WDR produziert – dann aber nicht ausgestrahlt. Aus formalen und redaktionellen Gründen, wie der deutsch-französische Sender mitteilte: Der Film verfehle das Thema und sei nicht ausgewogen.

Kritik von vielen Seiten

Nicht nur von Seiten der Filmemacher wurde die Entscheidung von Arte scharf kritisiert. Antisemitismus-Experten wie Götz Aly, Matthias Küntzel und Ahmad Mansour nahmen den Film als gelungen wahr – und als relevant.

Gestern schaltete sich die Boulevardzeitung „Bild“ in die Debatte ein. Sie unterstellte Arte, den Film nicht auszustrahlen, weil das Thema unbequem sei – und stellte den Film in Eigenregie für einen Tag online. Unterdessen ist er auch bei Youtube abrufbar.

Mit Elan ins Minenfeld?

Das gab auch vielen Journalisten die Gelegenheit, die unter Verschluss gehaltene Doku unter die Lupe zu nehmen. Dabei bezogen sie unterschiedliche Positionen. Der Spiegel meinte, die Filmemacher seien „mit Elan ins Minenfeld“ getreten: Der Film weise journalistische Lücken auf. Und das Engagement der Autoren führe dazu, dass der Grundton polemisch und wertend sei.

Viel Lob erhielt der Film von anderer Seite, etwa von der „Welt“ und der „NZZ“. Letztere betonte vor allem die Wichtigkeit dieser „sorgfältigen Durchdringung eines so explosiven wie virulenten Themas: des wieder manifester werdenden Judenhasses.“

„Als Phänomen der Rechten gesehen“

Der Film wirft unter anderem Hilfswerken und linken Verbänden vor, Antisemitismus zu befördern.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Historikerin Christina Späti auch die starken Reaktionen: „In Deutschland wird Antisemitismus in erster Linie als ein Phänomen der Rechtsextremen oder Rechtspopulisten angesehen. Der linke Antisemitismus hingegen ist vor allem immer noch ein Tabu.“

Dass Arte sich entschloss, den Film nicht auszustrahlen, könnte auch damit zu tun haben, dass der Sender in Frankreich beheimatet ist – dort werde das Thema weitgehend ausgeklammert.

„Einen Ausgleich herstellen“

Ähnlich beurteilt auch der Historiker Georg Kreis die Debatte um den Film: „Es geht wohl darum, neben der üblichen und berechtigten Kritik in Richtung Rechtsextremismus, auch der radikalen Linken gegenüber eine kritische Haltung einzunehmen.“ Dadurch meint man, einen Ausgleich herzustellen, geleitet vom inneren Verlangen: „Endlich wird es einmal gesagt!“

Dass Antisemitismus als Phänomen der Rechten begriffen wird, habe historische Gründe, sagt Christina Späti. Denn auch auf der linken Seite habe es ihn schon immer gegeben. „Wir können keine Antisemiten sein, weil wir keine Rassisten sind – diesen Reflex einiger Linken kenne ich aus vielen Quellen.“

von

Günter Schwarz – 15.06.2017