(Abenraa) – Wenn die Sonne über Abenraa untergeht und die Straßen in der Innenstadt sich geleert haben, machen sie sich auf ihren Weg. Singend und in einer schwarzen Uniform, ausgestattet mit einem Morgenstern, führen der ehemalige Sonderpädagoge Holger Jacobsen und der Kulturhistoriker Erling Madsen durch die Altstadt von Apenrade. Sie sind die Nachtwächter Apenrades. Eine Tradition, die seit 1683 besteht.Lebhaft erzählt werden Anekdoten über Henker, uneheliche Königskinder und Willy Brandt. auf der Nachtwächterrunde in Abenraa.

Zugegebenermaßen sind die Nachtwächter heute eher als Touristenattraktion und nicht mehr als Retter in der Not unterwegs. Die vielen Nachtwächter-Innungen haben Ende des 19. Jahrhunderts ihre Bedeutung verloren, als Gaslampen in den Straßen aufgestellt wurden. Die gut 30 Zuhörer des heutigen Abends lauschen gespannt den lebhaft erzählten Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Dabei lernen sie, was die Stadt Abenraa in den letzten Jahrhunderten zu der gemacht hat, die sie heute ist. Aus dem ersten Feuerwehrhaus der Stadt, dem Spritzenhaus, wurde im Lauf der Zeit eine öffentliche Toilette. Aus der früher belebten Freudenstraße, heute bekannt als Jungfrauengasse, ist eine ruhige Straße für Familien geworden.

Die Altstadt bietet zahlreiche solcher Geschichten des Wandels, die den besonderen Reiz und Charme der vergessenen Geschichten ausmachen. Holger Jacobsen nimmt sich die Zeit um auch deutschsprachigen Tour-Besuchern die zahlreichen Anekdoten der Stadt zu erzählen. Er selbst kam Mitte der 70er Jahre aus Südschleswig zum Studieren nach Sønderjylland. Als Mitglied der dänischen Minderheit in Deutschland fügte er sich schnell in das gesellschaftliche Leben in Abenraa ein.

Seit 1996 ist er auch dänischer Staatsbürger. Seine Zweisprachigkeit ist ein Gewinn für den Touristenverein, der die Nachtwächterführungen organisiert. Seit drei Jahren ist Holger Jacobsen bereits dabei. „Ein Nachtwächterlehrling“, wie Erling Madsen scherzend ergänzt. Madsen selber macht die Touren schon seit 17 Jahren, ehrenamtlich. Der gebürtige Süddäne liebt die kleinen Details der Stadt. Er kennt den Klatsch und Tratsch der letzten 200 Jahre und berichtet leidenschaftlich über Wahrsagerinnen und uneheliche Königskinder, die hier aufwuchsen.

Es ist ein Erlebnis für Jung, und Alt und die Führung ist kindgerecht aufgebaut und nie ganz gleich, so Holger. Vielleicht macht das gerade das 90-minütige Event so besonders lebendig. Die beiden Nachtwächter passen ihre Erzählungen an die jeweiligen Gruppen an. Für Kinder gibt es bessere Geschichten, als die über den letzten Henker in Abenraa, erzählt Holger Jakobsen. Dieser letzte Henker in Abenraa wurde nach Abschaffung der Todesstrafe der erste Chirurg in der Region. Wichtig ist die Erzählart der beiden, die es auch an diesem Abend schafft, die Gruppe zu begeistern und das ein oder andere Mal in tosendes Gelächter zu versetzen. Es ist das gesprochene Wort, das die beiden nutzen, um die Geschichte lebendig zu machen.

Auch für deutsche Besucher bietet die kostenlose Führung einige unerwartete und interessante Fakten. Jacobsen erklärt passioniert, welche Einflüsse die Deutschen hinterlassen haben. Skat, Ringreiten und das freundliche „Moin“. Während Madsen von etwas anderen deutschen Einflüssen berichten kann. In seinem Fall, wie er den Altbundeskanzler Brandt nach mehreren dänischen Bieren 1972 in dessen Hotelzimmer geleitete. Dänisch-deutsche Völkerverständigung der besonderen Art.

Besonders begeisternd sind natürlich auch die modernen Aspekte über Abenraa. Versteckt hinter einem großen Tor befindet sich die Arbeitsstelle des Orgelfabrikanten Marcussen & Søn. Es gäbe noch viel mehr zu schreiben. Doch an dieser Stelle ist das geschriebene Wort wohl machtlos.
Interessierte können noch bis Ende Juli jeden Mittwoch um 22 Uhr (im August ab 21 Uhr) an dieser Nachtwanderung der besonderen Art teilnehmen. Deutschsprachigen Teilnehmern wird empfohlen sich vorher zu Beginn der Tour bemerkbar zu machen. Der Treffpunkt ist am Vægterpladsen in Abenraa.

von

Günter Schwarz – 08.07.2017