Durch das Internet bekommen Verschwörungstheorien zunehmend Aufschwung. Warum ist das so – und was ist das Gefährliche an ihnen? Verschwörungstheorien können dazu dienen, andere und anders Denkende ausgrenzen – manchmal bis hin zu Mord.

Warum der Mensch so anfällig für Verschwörungstheorien ist, lässt sich damit erklären, das diese uns von unserem Alltag ablenken und das Leben interessanter erscheinen lassen, als es oft ist. Zudem fällt es vielen Menschen schwer, keine Erklärung für ein Ereignis oder die Unfairness der Welt zu haben.

Ein dritter Grund ist unsere evolutionsbiologische Disposition zu Stammesgesellschaften. Daher rührt auch unser Gruppendenken woraus letztlich Rivalitäten entstehe. Das heißt: Wer nicht Teil eines Kollektivs ist, der ist denen suspekt.

Aktuelles Beispiel sind die Überschwemmungen in Texas und er Stadt Houston. Darüber gibt es bereits jetzt Verschwörungstheorien. Derartige sehr einprägsame Ereignisse provozieren oft und schnell solche Theorien. So hießt es bereits jetzt in Verschwörungstheorien, dass der Sturm nicht natürlich gewesen sei, sondern als Waffe eingesetzt wurde. Ein entsprechendes Youtube-Video dazu wurde bereits mehr als 100.000 Mal angeklickt.

Historisch gesehen sind es langfristige Zustände von Unbehagen, auf die man mit Klischees reagiert. Der Antisemitismus ist ein klassisches Beispiel dafür. Die Ausgrenzung einer Gruppe wie die der Juden wird dadurch legitimiert, dass man Verschwörungstheorien formuliert. Ein Beispiel ist die Ritualmordlegende. Aber es gibt heute diverse andere Verschwörungen – beispielsweise die der „Weisen von Zion“, welche besagt, dass Juden ein jüdisches Weltreich planen und die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Es geht darum, ob die Theorie in eine persönliche Sicht der Welt hineinpasst.

Spricht man die Ritualmordlegende „blood libel“ an, so führte diese in der Geschichte schon mehrfach zur Verfolgung und Ermordung von Juden. Sie besagt, dass Juden christliche Kinder ermorden würden, um deren Blut rituell zu verwenden.

Dieser Fall ist in der Tat exemplarisch. Denn der Sachverhalt wirkt aus heutiger Sicht geradezu absurd. Bei Verschwörungstheorien ist genau das jedoch ein interessantes Kennzeichen. Es geht darum, ob die Theorie in eine persönliche Sicht der Welt, in eine eigene Geschichte hineinpasst. Irrationalität wird dabei zweitrangig und wird völlig ignoriert.

Zudem sieht man bei dieser Legende die Gruppenbildung sehr gut. Mitglieder der „Ingroup“ sind moralisch überlegen und haben nur ehrenhafte Ziele; Mitglieder der „Outgroup“ sind innerlich böse, ihnen gilt es zu misstrauen. Dieser Kontrast von Gut gegen Böse oder David gegen Goliath ist ein weiteres Merkmal.

Das Internet hat alles verändert und Verschwörungstheorien eine neue Dynamik gegeben. Einerseits kann man sich so die Theorien suchen, die einen selbst bestätigen, sich also eine Legitimation für die eine oder andere Denkweise verschaffen, und zugleich erreicht man innerhalb kürzester Zeit eine Unzahl an potentiellen Empfängern. Deswegen ist der Online-Video-Diskurs auch zum Hauptvektor von Verschwörungstheorien geworden.

Interessanterweise ist für uns Menschen die Autorität einer Quelle oder die Qualität eines Arguments weniger wichtig als die Masse von Informationen, die uns erreichen. Wenn jemand also zehnmal dieselben Inhalte hört, dann ist er davon überzeugt – unabhängig von der Qualität und Seriosität des Inhalts.

Beim Menschen gibt es diesbezüglich einen kognitiven Fehler, den sogenannten „anchoring bias“. Die erste Information, die wir zu einem Thema bekommen, die bleibt uns sehr stark in Erinnerung. Alle weiteren Infos, die daraufhin folgen, werden mit der Erstinformation abgeglichen.
Was für ein politisches Gewicht haben solche Theorien?

Doch das ist sehr problematisch, denn sie geraten heutzutage immer wieder im Zentrum von politischen Szenen. Donald Trump ist geradezu das Paradebeispiel für den Erfolg von Verschwörungstheorien. Mit all den Akteuren aus verschieden politischen Lagern und Interessensverbänden, speziell den rechtspopulistischen Bewegungen, besteht darin eine große Gefahr.

Welche Dynamik Verschwörungstheorien einnehmen können, sieht man auch sehr gut am Beispiel der Dortmunder Silvesternacht: Zwei voneinander unabhängige Ereignisse – die syrische Waffenstillstandsfeier von etwa 75 Syrern und der Schmorbrand an der Reinoldikirche am 31. Dezember 2016 – wurden auf höchst problematische Weise miteinander verknüpft. Plötzlich wurde berichtet, dass Flüchtlinge die Kirche willentlich angezündet hätten. Für die Verbreitung dieser falschen und höchst brisanten Informationen war vornehmlich auch das Nachrichtenportal Breitbart verantwortlich, eine rechtspopulistische bis rechtsaußen US-amerikanische Nachrichten- und Meinungswebsite, die 2007 durch den Publizisten Andrew Breitbart gegründet wurde.

von

Günter Schwarz – 10.09.2017