Die Koloratursopranistin Anna Carina Sundstedt hat die Initiative ergriffen, dass 132 klassische Sänger ein Manifest gegen sexuelle Verstöße und Demütigungen in der Branche unterzeichnet haben.

Morgonhälsning, Hugo Alfvén. Med sopran Anna Carina Sundstedt og pianist Henrik Metz.
„Ich habe gewartet, ich habe gewartet, und ich habe gewartet. Aber es gab eine laute Stille auf dieser Seite des Øresunds. Und dann dachte ich bei mir, dass auch ich die Initiative ergreifen könnte.

Es ist die Opernsängerin und Vorsitzende des Danmarks-Radios-Konzertchores Anna Carina Sundstedt, die die Initiative ergriffen hat, gegen Verstöße und Demütigungen von Sängerinnen in der klassischen Musikwelt zu appellieren.

Der Aufruf ist in einem Manifest festgehalten, und nicht weniger als 132 klassische Sänger – dänische oder ausländische mit Erfahrung aus der Arbeit in Dänemark – haben ihn unterzeichnet. So hat sich auch in Dänemark eine #metoo-Kampagne angemeldet, in der sich Frauen und Männer, darunter eine Reihe bekannter Akteure, melden und über Sexismus und sexuellen Missbrauch berichten. Es ist eine Kampagne, die sich in den letzten Wochen wie ein weltweiter Flächenbrand ausgebreitet hat.

Das ist das erste Mal, dass so viele Frauen aus sich herauskommen und über die Zustände im Bereich Kultur zwischen Managern und Angestellten in Dänemark berichten. Und nun ist das geschilderte Schweigen darüber auch in Dänemark von Anna Carina Sundstedt gebrochen.

In Schweden wütet die Debatte über das Thema bereits seit Wochen, und als Anna Carina Sundstedt in eine schwedischen Facebook-Gruppe für klassische Sänger eingeladen wurde, wurde ihr die ziemlich lebhafte Debatte darüber bewusst. So es machte sie neugierig, herauszufinden, wie groß das Problem mit Verstößen und Übergriffen wirklich ist und ob davon auch klassische Sängerinnen in Dänemark betroffen sind. „Ich war neugierig zu untersuchen, ob es Missbrauch von Sängerinnen aus der klassischen Musik auch in Dänemark gegeben hat“, sagt sie.

So kontaktierte sie zunächst rund 40 Kollegen aus der Branche innerhalb ihrer Facebook-Gruppe und lud darüber hinaus mehr ein, dazu Stellung zu beziehen. Und je größer die Gruppe wurde, desto mehr Geschichten über Missbrauch in der Branche tauchten auf. „Die 132 Unterzeichner des Manifests sind allesamt Mitglieder der Facebook-Gruppe – aber die Gruppe besteht insgesamt noch aus weitaus mehr Mitglieder. Jedenfalls wurde eine hitzige Debatte über das Thema geführt, bei dem einige der Mitglieder befürchteten, die Männer würden sie wegen ihrer Geschlechterdebatte ,hängen‘ würden, weil sich Frauen gegen Männer wenden. Dennoch haben sich alle die 132 Unterzeichner aus der Gruppe dazu entschlossen, zusammenzukommen und das Manifest persönlich zu unterschreiben“, sagt Anna Carina Sundstedt.

„Das Manifest der Gruppe, in der jede jede kennt, enthält auch zahlreiche Beispiele dafür, wie sehr sich Sängerinnen von Männern aus der Branche sexuell beleidigt und gedemütigt fühlen. Manche der Vorfälle liegen sogar bis zu 30 und 40 Jahre zurück“, sagt Anna Carina Sundstedt.

Warum hat es in Dänemark so lange gedauert, über Annäherungen, Missbrauch und Demütigungen zwischen Chefs und Mitarbeiterinnen in Ihrer Branche aufzuschreien? „Ja, das ist eine gute Frage. Aber ich denke, da spielen mehrere Dinge mit. Manche Frauen haben große Angst davor, ausgegrenzt zu werden, denn Dänemark ist ein kleines Land, in dem jeder jeden in der Musikbranche kennt. Das ist ein weiterer Grund, dass Dänemark ein wenig gefährlich ist, sich als Feministin zu outen. Und das kann einem schnell angehängt werden, wenn man sich der männlichen patriarchalen Machtstruktur widersetzt“, meint Anna Carina Sundstedt und betont, dass die Facebook-Gruppe absolut nicht dafür gedacht ist, Männer generell bloßzustellen.

„Das ist über die Tatsache, dass es einige ,Machthaber‘ in der klassischen Musikbranche gibt, die ihre Macht missbrauchen. Wenn man etwas dagegen sagt, kann man sich gleich eine Schlinge um den Hals legen. Und dennoch waren sich die Frauen nicht dessen bewusst, dass auch viele andere gibt, die das Gleiche erlebt haben wie sie selbst. Sie haben ihre Erfahrung als etwas Einzigartiges empfunden“, sagt sie.

„Ich habe einen Bericht von einer erhalten, die ausgesagt hat, dass einer von ihnen zu ihr gesagt hätte, dass sie den Preis dafür zahlen müsse und dass schon mehr Frauen die Erfahrung hätten machen müssen, dass sie mehr oder weniger gute Karrierechancen so verloren hätten, weil sie sich geweigert hätten.“

„Mit dem Manifest wollen wir erreichen, dass jetzt eine offene Debatte geführt wird. Und dann müssen wir einen Kodex erstellen, wie gutes Verhalten in Institutionen und bei der Arbeit umgesetzt werden kann“, sagt Anna Carina Sundstedt.

490 norwegische Schauspielerinnen, 653 schwedische Sängerinnen und Sänger, 4.445 schwedische Rechtsanwälte, 1300 Frauen in der schwedischen Politik und 456 schwedische Schauspielerinnen haben kürzlich eine gemeinsame Aufforderung gegen sexuelle Belästigung und Missbrauch in ihren Branchen veröffentlicht.

von

Günter Schwarz – 19.11.2017