(Berlin) – Die Zahl der sogenannten „Reichsbürger“ in Deutschland wächst enorm weiter an. Doch das liegt auch an einer besseren Erfassung der Behörden. In dem Bundesland Bayerngibt es besonders viele Anhänger der Szene. Die Zahl stieg binnen des vergangenen Jahres um 50 Prozent an – auf nunmehr ca. 15.600 in diesem Januar, wie das Nachrichtenmagazin „Focus“ unter Berufung auf die Verfassungsschutzämter der Länder berichtet. Einige „Reichsbürger“ planen sogar eine Armee.

Anfang 2017 gingen die Sicherheitsbehörden noch von rund 10.000 Reichsbürgern und sogenannten Selbstverwaltern aus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Bonn wollte die Angaben am Freitag nicht bewerten und verwies auf die mit Stand Ende September veröffentlichte Zahl von 15.000 Anhängern. Diese werde regelmäßig zwischen Bund und Ländern abgestimmt und aktualisiert.

Die größte Anhängerschaft gibt es dem Bericht zufolge – was sicher nicht ganz überraschend ist – im traditionell konservativ geprägten Bayern, wo die Behörden rund 3.500 „Reichsbürger“ zählen. Zum Vergleich: Anfang 2017 konnte das Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz rund 1.700 Menschen der Bewegung zuordnen. Der kontinuierliche Anstieg der Zahlen im vergangenen Jahr sei nicht zuletzt auch auf die bessere Erfassung der Szene durch die Behörden zurückzuführen, erklärte Markus Schäfert, Sprecher der Behörde in München. Auch das BfV wies auf diesen Zusammenhang hin.

Eine bewaffnete Gruppe innerhalb der Szene plant „Focus“ zufolge offenbar sogar den Aufbau einer eigenen Armee. Entsprechende Bestrebungen hätten Verfassungsschutzämter in Ostdeutschland registriert. Sicherheitskreise hätten bestätigt, dass sich „Reichsbürger“ aus mehreren Bundesländern bei einem konspirativen Treffen mit dem Aufbau einer militärischen Organisation befasst hätten. Einige „Reichsbürger“ hatten sich auch schon einmal zu einer Art Polizeitruppe zusammengeschlossen – samt Verkleidung.

„Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik nicht als Staat an. Sie sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab und akzeptieren keine amtlichen Bescheide. Die gesamte Bewegung gilt als sicherheitsgefährdend und wird seit Herbst 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihr gehören auch Rechtsextremisten sowie NPD- und AfD-Sympathisanten an, das BfV geht etwa von etwa 900 aus. Die Splitterbewegung wurde lange nicht ernst genommen.

Nicht zuletzt der Fall des „Reichsbürgers“ Wolfgang P., der im Oktober 2016 einen Polizisten im mittelfränkischen Georgensgmünd erschossen hatte, warf ein Schlaglicht auf das Gefahrenpotenzial der Szene. Der Beamte sollte dabei helfen, rund 30 Waffen im Haus des Reichsbürgers zu beschlagnahmen. Vor mehr als zwei Monaten wurde P. dafür vom Landgericht Nürnberg-Fürth wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Bewaffnete „Reichsbürger“ wie P. sind es vor allem, die den Behörden Sorgen machen. Weite Teile der Szene verfügen den Erkenntnissen der Behörden zufolge über eine große Zahl an legalen und illegalen Waffen. „Wegen der vielen Waffen, die in der „Reichsbürger“-Szene vermutet werden müssen, sind staatlich Beschäftigte gefährdet“, erklärte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt. Das Gewaltpotential aus Teilen dieser Gruppen sei sehr hoch. „Die Annahme, es handele sich um harmlose Spinner trifft sicher nicht auf alle zu“, sagte Wendt.

Einen Waffenschein besitzen dem Bericht zufolge mehr als 1000 „Reichsbürger“. Die jüngsten Zahlen vom Verfassungsschutz sprechen von rund 1.000 Anhängern mit waffenrechtlicher Erlaubnis für eine oder mehrere Waffen. Zahlreiche Widerrufsverfahren wurden bereits eingeleitet.

Auch mit Razzien versucht der Staat der Bewegung aus Verschwörungstheoretiker, psychisch Kranke, Staatsverdrossene, Querulanten und Neonazis entgegenzuwirken. Bundesweit durchsuchten Ermittler in diesem Jahr zahlreiche Häuser und Wohnungen der Anhängerschaft. In Bayern kam es zum Beispiel laut Innenministerium zu rund 80 Razzien und mehr als 15 Festnahmen. Rund 135 Waffen wurden beschlagnahmt. Doch die Szene gilt weiter als dynamisch.

von

Günter Schwarz – 12.01.20181