Bernhard Schlink. geboren am 06. Juli 1944 in Großdornberg (heute zu Bielefeld) ist Jurist und Schriftsteller. Schon sein Roman „Der Vorleser“ aus dem Jahr 1995 wurde zu einem internationalen Bestseller. Bernhard Schlink gilt als literarischer Vergangenheitsbewältiger: Standen bisher die Rote Armee Fraktion (RAF) und der Holocaust – unter anderem im weltweit erfolgreichen „Der Vorleser“ – im Vordergrund, holt der Bestsellerautor diesmal weiter aus: In „Olga“ spannt Schlink den Bogen vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Vor allem aber geht es diesmal um Deutschlands koloniale Vergangenheit. Mit dem Porträt einer einfachen, kämpferischen Frau weiß Schlink wieder zu überzeugen. Als Entwurf einer deutschen Mentalitätsgeschichte bleibt der Roman hingegen fragwürdig.

Von der deutschen Kaiserzeit bis in die 1970er Jahre – im neuen Buch des Juristen und Bestseller-Autors Bernhard Schlink kämpft sich die Titelheldin Olga durch Widrigkeiten und Jahrzehnte. Der Roman ist eine raffiniert konstruierte Geschichte über das Erinnern, ein berührendes Porträt einer einfachen Frau – sowie ein etwas kruder Versuch, deutsche Mentalitätsgeschichte zu schreiben.

Bernhard Schlink: Roman „Olga“, Diogenes Verlag, 320 Seiten, 20,99 Euro, ISBN 978-3-257-60876-2

Zum Inhalt: Sie sind ein gegensätzliches Paar: Olga ist wiss- und lernbegierig, beharrlich, eine Kämpfernatur. Herbert ist stürmisch, ungeduldig und liebt die großen Worte. Olga ist in Armut aufgewachsen, ihre Eltern, Hafenarbeiter und Wäscherin, starben an Fleckfieber. Als sie anno 1900 bei der kaltherzigen Großmutter im ländlichen Pommern landet, ist sie noch ein Kind. Dort trifft sie auf Herbert, den Gutsherrensohn, und es kommt, wie es kommen muss: Die beiden verlieben sich, treffen sich heimlich und werden schließlich ein Paar – gegen die Konventionen und gegen den Wunsch von Herberts Eltern.

Der Vergangenheitsbewältiger

Ist Schlinks neuer Roman, so könnte man jetzt fragen, eine Romanze im Rosamunde-Pilcher’schen Stil? Mitnichten. Denn zum einen schreibt Schlink wie gewohnt schnörkellos und lakonisch. Die Sprache ist treffsicher, Kitsch und Schwülstiges haben da keinen Platz. Und bei dieser doch ein wenig schlichten Story bleibt es auch nicht: „Olga“ ist wieder ein Roman über das Erinnern – und deutlich gelungener als die letzten.

Der Umgang mit der Vergangenheit und deren versuchte Bewältigung sind es, die Schlink schon immer umtreiben, sowohl in seinen Romanen als auch in seinen rechtswissenschaftlichen Sachbüchern. Weltberühmt wurde er 1995 mit „Der Vorleser“ – millionenfach verkauft, in 55 Sprachen übersetzt und 2008 mit Kate Winslet verfilmt – über den Umgang mit dem Holocaust. Zur RAF-Vergangenheit der Bundesrepublik folgten die Romane „Das Wochenende“ (2008) und „Die Frau auf der Treppe“ (2014). Mit beiden konnte er aber nicht mehr an seinen früheren Erfolg anschließen.

Vom Kolonialismus zur NS-Ideologie

Bei „Olga“ gibt es nun Vergangenheitsbewältigung im dreifachen Sinne – politisch, familiär und amourös – und in drei Teilen. Im ersten umreißt Schlink ein bzw. zwei Leben verwoben in die deutsche Geschichte, eben das von Herbert und – vor allem – von Olga. Während Olga sich, allen Widerständen zum Trotz, hartnäckig zur Lehrerin emporkämpft, sehnt sich Herbert nach „dem kühnen Ringen der Menschheit“ in der Ferne. Er meldet sich freiwillig zur kaiserlichen „Schutztruppe“ nach Deutsch-Südwestafrika, reist später nach Südamerika und Russland und will schließlich in die Arktis aufbrechen.

Der Kolonialismus und seine ideologischen Grundlagen kommen hier ins Spiel – der „Segen“ der Zivilisierungsmission, die Überlegenheit der Herrenmenschen gegenüber dem schwarzen „Menschenschlag“, die Sehnsucht nach „deutscher Manneszucht, deutschem Wagemut und deutschem Heldentum“, wie Herbert meint. Der Weg zum NS-Gedankengut ist von hier aus nicht mehr weit: Eik, ein Bub, um den Olga sich kümmert und dessen wahre Identität erst spät klar wird, tritt, inspiriert von Herbert, in dessen Fußstapfen. 1936 wird er Mitglied der NSDAP und der SS.

Würdigung einer einfachen Frau

Der zweite Teil des Romans setzt in der Nachkriegszeit ein. Im Frühjahr 1945 ist Olga vor der anrückenden Roten Armee nach Heidelberg geflüchtet, dort arbeitet sie nunmehr bei einer Familie als Näherin und freundet sich mit dem jüngsten Sohn Ferdinand an. Er wird ihr engster Vertrauter, ihr Diskussionspartner über die letzten Jahrzehnte, und aus seiner Perspektive wird hier auch Olgas Geschichte erzählt.

Was genau Olga bewegt und beschäftigt, erfährt man erst im dritten Abschnitt. Er enthält Briefe, die sie zwischen 1913 und 1971 geschrieben hat. Die unbeugsame Liebe zu Herbert, ihr Umgang mit den Verlusten: Gerade dieser Teil macht „Olga“ zu einer gelungenen und auch berührenden Würdigung einer Frau aus einfachen Verhältnissen, einer aufgeweckten, unbeugsamen, klugen Person. Wobei Olgas Versuch, mit einer Geisteshaltung der Deutschen die letzten 100 Jahre erklären, gelinde gesagt krude ist.

Kolonialismus, Holocaust, 1968 – alles dasselbe?

Durch das Buch zieht sich eine These: Deutschland denke immer wieder zu groß, und das sei das Problem. Koloniale Begehrlichkeiten, Nationalsozialismus und die Ideale von 1968 werden da gleich einmal in einen Topf geworfen: An das „zu große Denken“ habe sie schon Herbert und Eik verloren, und die 68er seien nun versucht, auch in diese Falle zu tappen, hört man Olga in einer Schlüsselszene sagen. „Statt eure Probleme zu lösen, wollt ihr die Welt retten. Auch euch gerät es zu groß, merkst du das nicht?“

„Was ich über die deutsche Geschichte denke, ist beim Schreiben Material, Anregung“, meinte Schlink zum Stoff seines Buchs. Man möchte ihm, mit Olga gesprochen, entgegnen: Das ist vielleicht ein wenig zu groß geraten.

von

Günter Schwarz – 15.01.2018