Ray Bradbury beschreibt in seinem 1953 erschienenen dystopischen Roman „Fahrenheit 451“ eine Gesellschaft, in der Bücher verboten sind. Nicht weil etwa eine Regierung dieses Verbot verhängt hätte, sondern weil die Gesellschaft zu der Auffassung gekommen ist, Bücher und Denken machten unglücklich.

Obwohl Bradburys Werk sicher als „Warnung“ zu verstehen wäre, kommt es fast so vor, als verstünde man solche düsteren Visionen vielmehr als Anleitung. Ein ähnlicher Gedanke mag sich bei dem mehr bekannten „1984“ von George Orwell aufzwingen; wenngleich es bei Orwell staatliche Instanzen sind, die hier den gesellschaftlichen Ton angeben und nicht, wie bei Bradbury, die „Zensur“ innerhalb der Gesellschaft konsolodiert. Orwells „politisch optimiertes Neusprech“ erinnert mich in einer traurigen Weise an den derzeit aktuellen krampfhaften doppelplusguten Versuch der Einführung des generischen Femininums.

Auf solche Überlegungen wird man stoßen, wenn man sich einmal Gedanken um das hohe Gut der Meinungsfreiheit macht, oder vielmehr: wie diese denn nun tatsächlich praktiziert wird. Meinungen transportiert man heutzutage vielfach in öffentlichen Medien wie dem Internet. Gleichfalls unterwirft man sich damit jedoch auch einer kollektiven Norm – nämlich derer, was „gesellschaftlich in diesen Medien akzeptiert“ ist. Wer sich, z. B. auf Twitter gegen den kollektiven Kanon ausspricht, muss damit rechnen, massiv angegriffen zu werden. Diese Angriffe verlassen nicht selten den „virtuellen Raum“ und wirken sich u. U. nachhaltig auf soziale oder berufliche Kontakte aus. Nachteile, die man ungern in Kauf nimmt. In der Folge hält man dann lieber den Mund, als „seine Meinung“ kund zu tun. Wer sich mit Homosexualität oder Transgender schwer tut; wer an seinem Negerkuss nichts rassistisch findet oder wer auch in „brüderlichem Verhalten“ keinen sexistischen Angriff erkennen kann, sollte auf Twitter ganz-ganz kleine Brötchen backen.

Gesellschaftliche Toleranz wird zwar sehr lautstark eingefordert – gilt dann jedoch auch explizit nur für die Forderungen und nicht für, vielleicht sogar berechtigte, Kritik. Dass diese Kollektivtoleranz teilweise sehr bizarre Früchte trägt, zeigt die Aufnahme von Transgender als drittes Geschlecht. Es ist überhaupt nicht zu verurteilen, dass man biologischen Zwitterwesen diese Identitätsgrundlage auch rechtlich einräumt. Warum auch nicht? Dass man deswegen aber jeden „überspannten“ Mann in Frauenkleidern gleichfalls als Frau zu akzeptieren hat, stünde auf einem ganz anderen Blatt. Wenn sich dieser Mann u. U. als Frau fühlt und auch so lebt, sei kein Grund ihn in irgendeiner Form zu diskriminieren oder zu benachteiligen. Trotzdem ist er keine Frau, sondern bleibt ganz einfach ein Mann in Frauenkleidern. Es sei denn, dass die Natur ihn mit beiden Geschlechtsmerkmalen ausgestattet hat – was man weder kontrollieren kann noch sollte.

Meinungsfreiheit wird leider oft mit der Erlaubnis mißverstanden, andere Menschen beleidigen zu dürfen. Dies sei hier nicht gemeint. Trotzdem aber sollte uns die Freiheit nicht abgesprochen werden dürfen, dies oder das doof zu finden. Auch wenn in jedem Fernsehkrimi mindestens ein homosexuelle/r Kommissar oder Komissarin anwesend ist, darf man es mir nicht zum Vorwurf machen, meine Heterosexualität völlig ausreichend und toll zu finden – und dies vielleicht auch auf öffentlichen Plattformen zu betonen. Wer sich für etwas ausspricht, ist ja nicht automatisch gleichzeitig gegen alles andere. Gegenseitiger Respekt reichte eigentlich aus, um vielen dieser Meinungsverschiedenheiten Herr zu werden und dann auch von einer Meinungsvielfalt zu profitieren.

Ich stelle mir eine homogene Welt unheimlich langweilig vor. Auch wenn sie Auffassungen vertritt, die nun von den Rittern der Toleranz bis aufs Blut verteidigt werden. Überspitzt gesagt: In einer Welt von umherschwuchtelnden Homosexuellen werde ich der renitente Hetero bleiben. Und damit sollte niemand ein Problem haben. Man mag das auf viele Bereiche ausdehnen: ob nun sexuelle Ausrichtung, Religion, Mentalität: Es wird immer Minderheiten geben. Je nach gesellschaftlicher Ausrichtung mal in diesem, mal in jenem Lager. Toleranz bleibt dabei jedoch immer eine Tür, die in beide Richtungen schwingt – in keinem Fall jedoch das, was da ein selbstberufener Mob auf Twitter oder anderen sozialen Medien aggressiv skandiert.

Michael Schwarz, 23. März 2018