Unsicherheit in der Arbeitswelt, Niedriglöhne und atypische Beschäftigung nehmen weltweit zu. Ausgerechnet das „reiche“ und „wohlhabende“ Deutschland, in der die Wirtschaft laut unserer Regierung, die sich aus „Christen“ und Sozialdemokraten“ zusammensetzt, nur so „brummt“, hat den größten Niedriglohnsenktor Westeuropas. Zurückzuführen seien diese Entwicklungen vor allem auf die wenig christliche und soziale Wirtschaftspolitik der in Berlin Regierenden, so eine Studie des DGB.

Weltweit arbeiten mindestens 1,4 Milliarden Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen und auch die Sklaverei nimmt zu. Gerade im von Wohlstand und Wachstum geprägten Deutschland gibt es Probleme. Das geht aus der Studie „Atlas der Arbeit“ hervor, die vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung erstellt und am Montag in Berlin vorgestellt wurde.

Die Arbeitgeberverbände, deren Mitglieder sich schamlos die Taschen füllen, lesen aus der Studie offenbar eine „sehr gute Situation“ für deutsche Arbeitnehmer heraus:

Doch fast jeder Zweite hat bereits heute kein Beschäftigungsverhältnis mehr, auf den der „traditionelle Arbeitnehmerbegriff“ zuträfe – sozialversichert, unbefristet, vertraglich geregelt, fest entlohnt, feste Arbeitszeit. Und dass Arbeitnehmer von ihrem Lohn leben können, wird immer öfter die Ausnahme als die Regel, nach deren Logik sich das Arbeiten einmal gerichtet hat. Mittlerweile arbeiten 7,4 Millionen Menschen auf geringfügiger Beschäftigungsbasis für 450 Euro im Monat. Hierzulande ist das für 4,7 Millionen Arbeitnehmer die einzige Einkommensquelle.

Eines der zentralen Ergebnisse der Studie sei den Autoren zufolge, dass Prekariat und Unsicherheit sich weltweit und auch hierzulande vor allem aufgrund politischer Entscheidungen ausbreiten, weil der Arbeitsmarkt dereguliert wurde.

Zwar sei auch Digitalisierung als ein Faktor dafür anzusehen, dass Arbeitszeiten weniger geregelt und von Freizeit abgegrenzt sind. Doch die Ursachen für eine zunehmend polarisierte Lohnstruktur und den stark gewachsenen Niedriglohnsektor in der Bundesrepublik seien in der Politik zu finden.

In Deutschland habe der Anteil einen historischen Höchststand erreicht, noch nie habe es so viele Deutsche in prekären Arbeitsverhältnissen gegeben – dazu werden Minijobs, unfreiwillige Teilzeit- und Leiharbeit, Werk- und Zeitverträge gezählt. Viele müssten aufstocken. Insgesamt habe sich der Anteil der prekären Beschäftigungsverhältnisse seit den Neunzigerjahren mehr als verdoppelt.

Der wachsenden prekären Arbeit entspricht die Zunahme des Niedriglohnbereichs. In Deutschland ist er größer als in allen anderen Staaten Westeuropas. 1,2 Millionen Erwerbstätige verdienen so wenig, dass sie zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind.

So gehöre der Niedriglohnsektor in Deutschland „mittlerweile zu den größten in Europa“. Auch die Anzahl der unterhalb der Niedriglohnschwelle Beschäftigten steige an: „Fast jeder und jede vierte abhängig Beschäftigte verdiente 2015 weniger als 10,22 Euro pro Stunde und lag damit unter der Niedriglohnschwelle. Minijobberinnen, gering Qualizierte, junge Menschen und ausländische Beschäftigte arbeiten besonders häufig für niedrige Löhne. Dies hat politische Gründe wie die Hartz-Reformen, mit denen der Arbeitsmarkt dereguliert wurde.

Das Risiko der Arbeitslosigkeit ist gestiegen, weil Beschäftigungsverhältnisse zunehmend zeitlich befristet seien. Vor allem Leiharbeiter seien davon betroffen, und auch für hochqualifizierte Tätigkeiten würden immer öfter nur Leiharbeitsverträge geschlossen. Für viele werde das zum Dauerzustand, ohne Aussicht auf einen regulären Job.

Die Anzahl der Arbeitnehmer habe sich erhöht, unter anderem weil so viele Menschen wie noch nie arbeiteten, aus ökonomische Zwängen heraus auch Frauen und ältere Menschen. Dennoch ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland nur geringfügig gesunken. „Für sie tut die Politik wenig“, heißt es in der Studie. Zudem seien die öffentlich zugänglichen Statistiken nicht immer glaubwürdig. Umstritten ist besonders die wahre Zahl der Arbeitslosen, weil Regierungen gern bestimmte Gruppen aus der Statistik herausrechnen, damit sie besser dastehen.

Arbeiten lohne sich immer weniger, das ist eine weitere zentrale Erkenntnis der Studie. Die Lohnquote sinke kontinuierlich, und während Einkommen aus Arbeit gar nicht bis minimal stiegen, nähmen Einkommen aus Kapital trotz des 0-Prozent-Zinses auf Spareinlagen weitaus stärker zu. Die Anzahl der Deutschen, die von mittlerem Einkommen leben, sei geschrumpft, während die Anzahl der Menschen mit extrem hohem Einkommen gestiegen sei.

Ein weiterer gesellschaftlicher Aspekt der zunehmenden atypischer Beschäftigungen und damit einhergehender geringerer Einkommen sei die schlechte bis unzureichende soziale Absicherung. Besonders im Alter habe das für sehr viele Menschen schwer erträgliche Folgen. Das Rentenniveau sinkt, das Rentenalter steigt. Wer länger arbeitslos war oder nie besonders viel verdient hat, bekommt das bis zum Tod zu spüren.

Insbesondere Frauen seien betroffen, denn sie verdienten weniger als Männer und haben schlechtere Chancen bei der Karriere. Die Lohndifferenz betrage seit Jahren rund 22 Prozent. Auch weil Frauen oft ihre Arbeit für Familien- und Pflegetätigkeiten unterbrächen, erhielten sie geringere Renten.
„Wenn Frauen Familien gründen, reduzieren sie oder unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit, während Männer über die Lebensphasen relativ konstant in Vollzeit arbeiten.“ Viermal so viele Frauen wie Männer arbeiteten in Teilzeit.

Der „Atlas der Arbeit“ zeigt zudem auf, dass sogar die Zwangsarbeit in Deutschland ansteigt. „Es gibt eine zunehmende Gefahr von Arbeitssklaverei in Deutschland“, so Michael Guggemos, der Geschäftsführer der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Der Studie zufolge sind insbesondere Eingewanderte von dem Risiko bedroht, Opfer von Zwangsarbeit und Menschenschmuggel zu werden. Dazu zählt zum Beispiel Zwangsprostitution mit Freiheitsberaubung, von der Frauen aus den ehemaligen Sowjet-Staaten, Bulgarien, Rumänien und Nigeria nicht nur in Bordellen, sondern auch in weniger offiziellen Einrichtungen betroffen sind.

Nach Ansicht der Autoren der Studie ist die nächste Finanzkrise nur eine Frage der Zeit, da das kapitalistische System darauf angewiesen sei, dass Arbeitnehmer ausreichend Geld verdienen, um konsumieren zu können. Ohne darauf einzugehen, dass die Bundesrepublik ihren Wachstum auf den Export stützt, formulieren die Autoren die Aussichten ganz generell: „Eine Wohlstandsgesellschaft bleibt nur so lange stabil, wie die Einkommensverteilung gerecht ist. Finanzspekulationen sind ein Hinweis dafür, dass die nächste Krise droht.“

von

Günter Schwarz – 11.05.2018