(Berlin) – Dass die AfD gerne und oft gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung wettert, ist hinreichend bekannt. Zuletzt provozierte Fraktionschefin Alice Weidel zum Auftakt der Generalaussprache am 16. Mai im Bundestag mit migrationsfeindlichen Äußerungen heftigen Protest. Dafür fing sie sich sogar einen Ordnungsruf von Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble ein (CDU).

Es ist klar, dass die AfD das nicht Ordnung fand und versuchte, mit einem letztlich vergeblichen Einspruch die Rüge wieder aufzuheben. Denn das Flüchtlingsthema ist für die Partei eines, bei dem sie bei ihren Wählern im Wort steht. Der ganze Bundestagswahlkampf der AfD war geprägt von harschen Attacken gegen die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr auf den im Herbst 2015 einsetzenden Flüchtlingszustrom gerichtetes Durchhalte-Mantra „Wir schaffen das“.

Die AfD zieht gegen Bundeskanzlerin Merkel und ihre Flüchtlingspolitik vor das Bundesverfassungsgericht und hat in Karlsruhe Organklage eingereicht. Die AfD-Bundestagsfraktion will gerichtlich eine „Herrschaft des Unrechts“ feststellen lassen. Laut Auffassung der AfD habe die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung, die Grenzen für Flüchtlinge offen zu halten, das Parlament übergangen. Merkels Entscheidung, 2015 die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Ob das Bundesverfassungsgericht die Klage annimmt und es zur Verhandlung kommt, ist noch offen.

Die AfD zieht gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel vor das Bundesverfassungsgericht. Die Bundestagsfraktion habe am 14. April eine Organklage in Karlsruhe eingereicht, sagte ihr Justiziar Stephan Brandner. Der AfD gehe es darum, die „Herrschaft des Unrechts“ feststellen zu lassen.

Die Bundesregierung habe bei ihrer Einwanderungspolitik die Mitwirkungsrechte des Bundestags verletzt, heißt es in der Klage. Überprüft werden soll nach dem Willen der AfD Merkels Entscheidung von Anfang September 2015, die Grenze von Österreich nach Deutschland für Flüchtlinge offenzuhalten und die Menschen nicht abzuweisen.

Vollmundig verspricht der Jurist Brandner, der auch den Vorsitz im Bundestags-Rechtsausschuss innehat: „Diese Klage kann die Welt verändern. Und sie wird die Welt verändern, wenn sie erfolgreich ist.“ Merkel müsse dann in „Nullkommanichts“ weg. Ob es allerdings zur Verhandlung kommt, ist noch offen.

Der zweite parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Jürgen Braun, warf Merkel sinngemäß diktatorische Anmaßung vor. Auch die Kanzlerin habe sich an Recht und Gesetz zu halten. Wesentliche Entscheidungen, die das Gemeinwesen berührten, müssten im Parlament entschieden werden. Braun sprach mit Bezug auf die Politik der Grenzöffnung von einer „Herrschaft der Willkür und des Unrechts“, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

AfD beruft sich auf CSU-Chef Horst Seehofer, denn auch er hatte Merkels Entscheidung als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet, indem er im Februar 2016 in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse klagte: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ „Wir setzen um, was Seehofer angekündigt, aber nicht umgesetzt hat“, sagte Brandner. Seit Jahren herrsche ein Ausnahmezustand, es gehe um einen massiven Eingriff in die Rechte des Bundestags.

Bei der Klage der AfD gegen die Flüchtlingspolitik der Merkel-Regierung geht es um die Frage, ob die Grenzöffnung 2015 rechtens war. Nach der Dublin-Verordnung der EU hätten damals Ungarn und Griechenland die meisten Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufnehmen, versorgen und über ihren Antrag entscheiden müssen. Deutschland hätte die meisten Flüchtlinge in diese Erstaufnahmeländer der EU zurückschicken können.

Die Bundesregierung setzte jedoch für Kriegsfllüchtlinge aus Syrien dieses Verfahren Ende August 2015 aus – ohne den Bundestag einzubinden. Dabei berief sie sich auf Artikel 17 der Dublin-Verordnung. Demnach kann jedes EU-Land aus humanitären Gründen ein Asylgesuch auch dann prüfen, wenn es eigentlich dafür nicht zuständig ist.

Dass die Karlsruher Richter sich der AfD-Sache annehmen, ist schon jetzt mehr als unwahrscheinlich. Aus mehreren Gründen dürfte sich der der Klage-Vorstoß zum „Rohrkrepierer“ erweisen und zum Scheitern verurteilt sein.

„Der Antrag der AfD-Fraktion im Organstreitverfahren wird keinen Erfolg haben, weil er unzulässig ist“, sagte der Speyrer Staatsrechtler Joachim Wieland dem Handelsblatt. So halte die AfD etwa eine laut Bundesverfassungsgerichtsgesetz „zwingend“ vorgeschriebene Frist nicht ein.

Ein weiteres Problem besteht aus Sicht des Professors an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer darin, dass sich aus der Klageschrift „weder ein konkretes Handeln noch ein konkretes Unterlassen der Bundesregierung“ ergebe, das den am 24. September neu gewählten Bundestag in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletze. „Die Rechte früherer Bundestage, denen die AfD-Fraktion nicht angehört hat, kann sie nicht geltend machen“, betonte Wieland.

Auch lege die AfD „nicht nachvollziehbar“ dar, welches Recht des Parlaments die Bundesregierung verletzt haben sollte. Mit einem „Organstreitverfahren“ könne die AfD jedenfalls nicht prüfen lassen, ob die Regierung verfassungsgemäß gehandelt habe. „Es schützt nur eigene Rechte der Fraktion oder des Bundestages“, erläuterte Wieland.

Allerdings sei Bundestag nie gehindert gewesen, „sein Gesetzgebungsrecht auszuüben, wenn er eine andere Flüchtlingspolitik der Regierung hätte durchsetzen wollen“. Die AfD, so der der Staatsrechtler, habe das nicht einmal versucht.

„Zudem hält sich das Handeln der Bundesregierung im Rahmen der Vorgaben der Verfassung, so wie sie das Bundesverfassungsgericht interpretiert“, fügte Wieland hinzu. Das gelte insbesondere auch für das Asylrecht.

Die AfD scheint ein Faible dafür zu haben, das Instrument der Verfassungsklage gegen politische Projekte einsetzen zu wollen, die ihr in besonderem Maße ein Dorn im Auge sind. Wohl auch deshalb, um vor allem eines zu erzielen: öffentliche Aufmerksamkeit.

von

Günter Schwarz – 19.05.2018