Amok oder KOMA sein

An diesem Wochenende wartet der Verein Mahnmal Kilian e.V. in seinem Flanderbunker in Kiel Wik mit zwei sehr unterschiedlichen kulturellen Veranstaltungen auf, die jedoch hervorragend miteinander korrespondieren. Am Freitag eröffnete die Ausstellung „The Process“ des aus der Ukraine stammenden Foto- und Medienkünstlers Valentyn Odnoviun, der Blicke durch die Spione von Zellentüren der ehemaligen KGB- Gefängnisse der baltischen Staaten, der Ukraine und des Stasigefängnisses Hohenschönhausen in Ost-Berlin präsentiert. Die Ausstellung wird noch bis zum 24. Juni 2018 in den Ausstellungsräumen des Flandernbunkers an der Kiellinie zu sehen sein.

In dem Setting und der Kulisse dieser Ausstellung führt die Theatergruppe „Kieler Gruppe“ am Freitag und Samstag, unter der Regie von Moritz Tonn, Andrea Czesienskis Stück „AMOK oder KOMA sein auf.

Das Theater ist nicht nur in der Programmatik des Stückes selbst anders, als man es kennt. Gespielt wird nicht auf einer Bühne, sondern der Schauspieler bewegt sich während seines Monologes frei inmitten der Zuschauer. „Der Schauspieler wird die Nähe suchen“, heißt es in der Einleitung. „Man mag ihm dabei Raum machen, oder ihm aber auch seinen Weg verstellen.“

Andrea Czesienski lebte zu dem Zeitpunkt des Mauerfall in Ostberlin und hörte schon im Vorfeld der Ereignisse von dem Gerücht, die Mauer würde bald fallen. Sie fand die Idee derart grotesk, dass sie begann, ihr Stück „AMOK oder KOMA sein“ zu verfassen. Dabei wurde sie von den Ereignissen der Geschichte überholt und die Mauer fiel tatsächlich, noch bevor sie ihr Werk vollendet hatte. Ihr Text beschäftigt sich mit dem Zorn und der Angst ihres Protagonisten, ein Grenzsoldat, der sich auf seinem Wachturm verschanzt und sich weigert, „seinen Bereich“ unbewacht zu lassen.

In dem Monolog des Grenzers kommt es zu einer Verhandlung mit sich selbst und im Lichte tagespolitischer Aktualität, dem Aufwerfen sehr unangenehmer und berührender Fragen.

In seiner packenden Dynamik erinnert Czesienskis Grenzer sehr an Dostojewskis alternden Beamten in seinen „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“. Doch während Dostojewskis Protagonist sich überhaupt keine Mühe macht, von seinen Zuhörern gemocht werden zu wollen, wehrt sich Czesienskis Grenzsoldat gegen die unvermeintlich folgenden Verleumdungen. Er unterstreicht seine Menschlichkeit inmitten der Groteskität des Systems von bewaffneten Wachtürmen. Der Grenzer dekoriert seinen Turm mit einem blauen Läufer und seinen Kakteen. „Monster haben keine Topfpflanzen! – Darauf bestehe ich!“, unterstreicht der Grenzer mit verzweifeltem Nachdruck.

Czesienskis Monolog hat einen tief berührenden Nachhall inmitten einer Gesellschaft, die wieder sehr angeregt über Grenzen diskutiert. Der Monolog des Grenzers richtet seinen Scheinwerfer auf all jene, die mit Wut und Angst auf Veränderungen reagieren. Jene, die sich „von ihrem System betrogen“ fühlen. Gar bis zu dem Punkt, dass eine Veränderung tatsäch dazu imstande ist, sehr existenzielle Zweifel aufzuwerfen. Damit wird Czesienskis Monolog unweigerlich zu einem brandaktuellen Dialog, den sicherlich jeder Besucher dieser Veranstaltung mit nach Hause nimmt.

Das Theaterstück ist mehr ein Happening – nicht zuletzt auch durch die Besonderheit des Veranstaltungsortes „Flandernbunker“.

An dieser Stelle soll auch die Leistung der Kuratoren des Flandernbunkers erwähnt sein, denen es gelungen ist, Czesienskis Text in die Mitte von Odnoviuns Arbeiten zu stellen und so eine Atmosphäre zu schaffen, die beide Werke einander ergänzt.

Die kultur.INsite-Redaktion ist (mal wieder) begeistert: Von einem packenden Theaterstück, einer bildgewaltigen Ausstellung und der nachhallenden Venue „Flandernbunker„.

Charlotte Thomsen, 26.Mai 2018