Berlin / München) – Die Union in Deutschland ist zerstritten wie schon lange nicht. Der Auslöser: Dispute in der Asylpolitik. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) beharrt darauf, bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt das ab, sie setzt auf europäische Absprachen. Auf getrennten Sitzungen wollen die Schwesterparteien am heutigen Montag über ihr weiteres Vorgehen beraten. Dabei steht einiges auf dem Spiel.

Die deutsche Regierung könnte am Streit zwischen CDU und CSU zerbrechen. Auch die seit Jahrzehnten bestehende Union aus CDU und CSU stehe auf dem Spiel – mit möglicherweise weitreichenden Folgen. Es stellt sich die Frage, was im Streit zwischen der CDU und der CSU um die Abweisung von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt haben, auf dem Spiel steht?

Auf jeden Fall besteht die Gefahr, dass die Union aus CDU und CSU auseinanderbricht und in Deutschland italienische Verhältnisse beginnen. Sollte es tatsächlich zum Bruch in der Union kommen, werden die politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland noch problematischer als bisher. Offensichtlich finden die Parteiführer Merkel und Seehofer keine Möglichkeit der Mediation. Natürlich ist das Flüchtlingsproblem ein großes Problem. Doch die Art und Weise, wie man zwischen CDU und CSU miteinander umgeht, ist so katastrophal, wie es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie vorgekommen ist.

Die CSU befindet sich mitten im bayrischen Wahlkampf, sie könnte bei der Landtagswahl im September ihre absolute Mehrheit wegen der AfD verlieren. Insofern kann man das derzeitige Getöse der CSU vor allem der Wahlkampfrhetorik zuordnen. Dafür scheint die CSU sogar bereit zu sein, die Regierungskoalition zur Disposition zu stellen.

Das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt, bei der man sich derart in Rage redet, dass man nicht mehr zurück kann . Auch setzt man Fakten, allein schon durch die Art und Weise, wie man miteinander oder übereinander redet. Man hetzt das Volk gegeneinander auf und weckt Erwartungen auf das, was dann bald passiert, wenn der andere nicht reagiert. So kann man später nicht einfach wieder zurückkrebsen und das Ganze vergessen und sich fröhlich wieder zusammensetzen.

Schon vor der letzten Bundestagswahl hatte sich CSU-Chef Horst Seehofer mit Kanzlerin Angela Merkel bitterlich gestritten. Er warf ihr alles Mögliche vor, liess sie beim CSU-Parteitag in München wie ein Schulmädchen aussehen und warf ihr eine „Herrschaft des Unrechts“ vor. Auf einmal wurde der CSU dann klar, dass man mit der CDU ja Wahlkampf machen muss – für ein halbes Jahr wurden die Angriffe auf Merkel daraufhin eingestellt. Doch jetzt kommt die Giftigkeit zurück. Man kann sich nicht immer wieder bis aufs Blut streiten und sich kurze Zeit später wieder einigen. CDU und CSU hatten schon immer ein komplexes Verhältnis. Allerdings waren die Differenzen eher im Bereich des Folkloristisch-Klamaukhaften. Politisch war man sich grundsätzlich einig. Doch diese Einigkeit ist vorbei. Deshalb ist die jetzige Situation nun viel ernster.

Schon 1976 attackierte der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauss den CDU-Chef Helmut Kohl ziemlich heftig – und kündigte die Fraktionsgemeinschaft mit der Drohung auf, dass die CSU sich bundesweit aufstellen wollte. Die derzeitige Krise der Union ist derzeit jedoch heftiger als damals. Damals war die Union in der Opposition, und nicht an der Regierungsmacht. Man stritt sozusagen im Abseits. Strauss war wütend, weil er meinte, Kohl sei zu blöd, um Kanzler zu werden. Auch gab es damals eine kleine Rechtspartei, die Republikaner – was Strauss zu dem Satz verleitete, es dürfe sich niemand rechts der CSU positionieren.

Die Querelen jetzt sind jetzt allerdings gravierender als 1976. Jetzt führt die Union die deutsche Regierung und das in einer sehr schwierigen Zeit in Europa und der Welt. Deshalb ist die Art und Weise, wie die CSU diesen Streit jetzt führt, völlig unverantwortlich. Sie gefährdet damit die Stabilität des Regierens, jene Deutschlands und damit auch die Stabilität Europas.

Die CSU spielt ein Hochrisiko-Spiel, um mit der Stimmung gegen Flüchtlinge Wählerstimmen zu holen. Ihr Einsatz ist die Regierungskoalition und die Union – und ob die CSU aus diesem Hochrisiko-Spiel als Siegerin hervorgehen kann, ist völlig unkalkulierbar. Normalerweise müsste man meinen, dass die Beteiligten versuchen müssten, zu einem für beide Seiten tragbaren Kompromiss zu kommen. Aber die Stimmung ist derart aufgeheizt und aufgewühlt und die Angst der CSU vor einem Abrutschen bei der Wählergunst wegen der AfD ist so groß, dass tatsächlich alles passieren kann.

von

Günter Schwarz – 18.06.2018