Die deutsch-dänische Grenze feiert Geburtstag: 1920 hatte das Volk an den zwei Tagen des 10. Februars in der nördlichen Zone 1 und des 14. März in der südlichen Zone 2 abgestimmt und damit die bis heute gültige Grenze zwischen Dänemark und Deutschland festgelegt. In Dänemark entstand in der Folge die deutsche und in Schleswig-Holstein die dänische Minderheit. Zum 100-jährigen Bestehen der Grenze zeichnet NDR Schleswig-Holstein die Ereignisse und Hintergründe nach.

Die Frage „deutsch oder dänisch“ spaltete vor allem die Nordfriesen. Sie sind die vergessene Volksgruppe, die am längsten unter den Nachwehen des Kampfes um die neue Grenze gelitten hat.

Die Spaltung der Friesen

Als die Menschen in den Zonen eins und zwei am 10. Februar und 14. März über den Grenzverlauf abstimmten, fanden sie auf den Wahlzetteln nur die Alternative Deutschland oder Dänemark. Die Friesen kamen nicht vor und wurden in einen Konflikt gedrängt. Sie seien schlicht hinten runtergefallen, meint der Historiker Professor Thomas Steensen – in den Augen des Vorsitzenden der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte ein Unding. 1.000 Jahre lebten die Friesen schon an der Westküste zusammen mit Dänen. Erst viel später zogen aus dem Süden Deutsche zu. Nun mussten sich die Friesen bekennen: deutsch oder dänisch.

Vorspiel „Deutschland über alles“

Das bewegte die Menschen. Rückblick in den März 1920 am Bahnhof von Langenhorn: Ein Meer von Fahnen, schwarz-weiß-rot für Deutschland, blau-weiß-rot für Schleswig-Holstein, mit Girlanden umkränzte Schilder mit der Aufschrift „Deutschland über alles“, der Bahnsteig voller Menschen: Mit deutschem Jubel begrüßte Langenhorn einen Sonderzug.

Ein Sonderzug mit Friesen fährt 1920 durch Langenhorn. Sie reisen extra zur Wahl an und werden freudig begrüßt.

Er war auf der Durchfahrt in das nur wenige Kilometer nördlich beginnende Abstimmungsgebiet. An Bord: gebürtige Nordfriesen, die aus der Fremde extra zur Wahl anreisten. Zum Ende eines heftigen Wahlkampfes stand fest: Die große Mehrheit der Nordfriesen würde deutsch stimmen. 75 bis 80 Prozent waren es dann am 14. März 1920.

Der Auszug aus Tønder

Die neue Grenze verlief etwas nördlich des Sprachgebietes der Nordfriesen. Doch sie verloren dadurch nicht nur Hoyer als Hafen für die Syltfähren, sondern vor allem ihre Kreisstadt Tønder. Da in der Zone eins (heute Dänemark) en bloc abgestimmt worden war, half es nichts, dass 77 Prozent der Tønderner Bürger deutsch stimmten.

In Sichtweite der neuen Grenze war die Stadt nun dänisch. In der „großen“ Stadt mit Krankenhaus, Lehrerseminar und Handel wohnten viele Friesen. Die meisten von ihnen zogen 1920 um. In Niebüll entstand für sie eine eigene Siedlung.

Intermezzo: Der Staat Nordfriesland

Die Gruppe der Friesen, die für Dänemark stimmten, war klein. Nur in drei Dörfern auf Westföhr gab es eine dänische Mehrheit. Der Sylter Nann Mungard stand an der Spitze derer, die auf eine Restauration des dänischen Gesamtstaates hofften. Der in Møgeltønder lebende Großbauer Cornelius Petersen mit Eiderstedter Wurzeln hatte anderes im Sinn. Er schrieb: „Eine (deutsche) Herrenschicht setzt sich unter dem Vorwand von Kultur, Religion und Beglückung über ein Bauernvolk und nimmt dessen Verwaltung und geistiges Leben in die Hand.“ Petersen formulierte es so in seiner Kampfschrift „Die friesische Bewegung“. Nach der „Kolonisation“ durch die Preußen verlangte er einen friesischen Staat oder zumindest die Selbstverwaltung.

Ein Wahlplakat aus dem Jahr 1920.

Nachspiel: Teuto- und Danofriesen

Cornelius Petersen wirkte nicht nachhaltig. Aber er löste einen Denkprozess aus. So kamen Friesen, die sich für Dänemark entschieden hatten, zu dem Schluss, das eigentliche Ziel müsse sein, dass die Friesen als eigene Minderheit anerkannt werden. 1923 gründeten sich die „Nationalen Friesen“. Sie waren eine kleine Gruppe, standen im strikten Gegensatz zur großen Mehrheit der „Deutschfriesen“ und am Anfang eines Streites, der noch Jahrzehnte andauern sollte.

Brisanz bekam die Splittergruppe der „Nationalen Friesen“, weil sie im klaren Gegensatz zur Politik des Deutschen Reiches nach 1920 stand. Ziel der Weimarer Republik war jeglicher Minderheitenbildung entgegenzutreten und die „Eindeutschung der Friesen“ voranzutreiben.

Backsteine für Deutschland

Die Weimarer Republik nahm ordentlich Geld in die Hand, um die Verluste durch die neue Grenze auszugleichen. Schon kurz nach der Abstimmung begann der Bau des Hindenburgdammes, um Sylt wieder anzubinden. 1923 eröffnete in Leck die „Grenzvolkshochschule“. Da das Gymnasium in Tønder weggefallen war, entstand die trutzig wirkende „Friedrich-Paulsen-Schule“ in Niebüll. Eigentlich sollte sie „Nordmark-Schule“ heißen.

Die „Friedrich Paulsen-Schule“ in Niebüll

Moore wurden trockengelegt, auf der Geest bis dahin ödes Land wieder in Kultur gebracht. Maßnahmen, die in der strukturschwachen Region halfen. Nur eines schafften die Investitionen aus Berlin nicht: Sie befriedeten nicht den Streit zwischen den sogenannten „Teuto- und Danofriesen“.

Ein Happy End für die Friesen

Der Norden kam nicht zur Ruhe. Nach dem Zweiten Weltkrieg flammte erneut der „Grenzkampf“ in einer Heftigkeit auf, die sogar fast größer war als in der Abstimmungszeit. Trotzdem meint Thomas Steensen, es sei heute von einem Happy End zu sprechen. Für den langjährigen Chef des Nordfriisk Instituut kam das jedoch erst nach 70 Jahren. Die Friesen standen nun endlich zusammen und forderten Rechte ein. Nicht als Minderheit, sondern als eigene „Volksgruppe“ wollten sie anerkannt werden. Sie hatten inzwischen festgestellt, sie seien ja eigentlich keine Minderheit, sondern müssten sich eher als Volksgruppe verstehen.

Heute könnten die Friesen von einem Happy End sprechen, findet der langjährige Chef des Nordfriisk Instituut, Thomas Steensen.

Erst nach der „Kieler Affäre“ und dem folgenden Regierungswechsel von Uwe Barschel (CDU) auf Björn Engholm (SPD) wuchs die Einsicht für die besondere Situation der Friesen. 1990 wurden sie als Volksgruppe mit dem Anspruch auf Schutz und Förderung in die Landesverfassung aufgenommen. Auf Bundesebene sind die Friesen den nationalen Minderheiten – Dänen, Lausitzer Sorben und deutsche Sinti und Roma – gleichgestellt.

von

Werner Junge, NDR – 16.02.2020