Einiges Europa – ein Auslaufmodell?
Der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann (im Amt von 1969 bis 1974) wurde einmal gefragt, ob er sein Vaterland liebe? Daraufhin antwortete er lakonisch: „Nein, ich liebe meine Frau.“ Zu Beginn der 1970er Jahre sorgte diese Antwort für erhebliche Irritationen sowohl unter damaligen Politikern als auch in großen Teilen der Bevölkerung. Sollte nicht besonders ein Bundespräsident seinen Staat, sein Vaterland lieben?! Ist das etwa keine Selbstverständlichkeit in seinem Amt?
Zweifellos war Gustav Heinemann ein recht eigensinniger Politiker und ein beeindruckender Bundespräsident, und er brachte dennoch mit dieser Antwort zweierlei auf den Punkt: Zum einen, dass Liebe ein überwältigendes Gefühl zu einem nahestehenden Mitmenschen ist und zum anderen – das war die politische Seite – brachte er damit zum Ausdruck, dass es für einen Deutschen angesichts der eigenen Geschichte schwierig ist, ein unmittelbares Gefühl der Liebe für Staat, Nation oder Vaterland zu entwickeln. Der Nationalsozialismus hatte Vaterlandsliebe schändlich missbraucht und diskreditiert. Er hatte sogar dazu geführt, dass Deutschland in den 1970er Jahren keinen einheitlichen Nationalstaat mehr besaß.
Nachdem bereits 1951 aufgrund Betreiben des französischen Außenministers Robert Schumann die Montanunion als erste supranationale Organisation Europas gegründet wurde, ging die Entwicklung zur friedlichen Einigung Europas besonders unter der Führung der damaligen Politiker, des französischen Präsidenten Charles de Gaulle und des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, mit der Einrichtung der EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) aufgrund der Römischen Verträge vom 25. März 1957 weiter. In diesem Vertrag kamen Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg überein, ihre Wirtschaft zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes zusammenzuschließen.
In den weiteren nunmehr fast 60 Jahren erwuchs aus dieser reinen Wirtschaftsgemeinschaft ein ständig wachsender Zusammenschluss der europäischen Staaten, der nicht nur der Wirtschaft, sprich den Unternehmen und Konzernen, Freizügigkeit bringt, sondern allen Bürgern der inzwischen aus 28 angeschlossenen Mitgliedsstaaten zahllose Freiheiten zugesteht, die in Zeiten der europäischen Nationalstaaten noch als unmöglich galten.
Die Grenzen zwischen den Staaten fielen. Jedermann konnte bis vor kurzer Zeit innerhalb Europas frei reisen, wohin man auch wollte, ohne zuvor langwierig und umständlich ein Visum beantragen zu müssen und ohne an einer Grenze nach Papieren oder „anzumeldenden Waren“ befragt zu werden. Die innereuropäischen Grenzen wurden zu reinen „Verwaltungsgebietsgrenzen“, die für den alltäglichen Personen- und Warenverkehr der Staaten untereinander kaum mehr Bedeutung hatten. Diese „schönen Zeiten“ sind jedoch jetzt an vielen innereuropäischen Grenzen vorbei, und als Argument für die Wiedererrichtung von Schlagbäumen an ihren Grenzen verweisen viele Regierungen auf den „ungeordneten Zustrom“ von Flüchtlingen aus allerlei Kriegsgebieten des Nahe Ostens.
Einen „Bodensatz“ aus Rechten und Rechtspopulistischen Parteien gibt es in allen EU-Mitgliedsstaaten bereits seit jeher, aber seitdem der Zuzug von Kriegsflüchtlingen besonders aus Syrien und dem Irak im Laufe des Jahres 2015 erheblich anstieg, witterten diese Parteien „Morgenluft“ und intensivierten ihre Aktivitäten erheblich, die nahezu überall zu nicht unerheblichen Erfolgen führten. Das Schüren von Angst vor Asylbewerbern über das Internet und organisierten Demonstrationen zeigt Wirkung in nahezu allen EU-Mitgliedsstaaten und stärkt nationales und gar nationalistisches Gedankengut unter unzufriedenen Bürgern in allen Ländern, wobei deren individuelle Unzufriedenheit nicht unbedingt auf den Zuzug und die Aufnahme von Asylbewerbern zurückzuführen ist. Dennoch verstehen es Rechtspopulisten, auch diese „Regierungskritiker“ für sich zu instrumentalisieren. Der Vize-Präsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sieht sich sogar provoziert und schlägt Alarm: „Wenn wir nicht in der Lage sind, dieses Problem anzugehen, wenn wir keine dauerhaften Lösungen finden können, werden wir einen Anstieg der extremen Rechten auf dem europäischen Kontinent erleben!“
Zweifellos bedeutet die „Flüchtlingskrise“ eine beispiellose Herausforderung für die EU generell und für jedes Mitgliedsland speziell. Aber kann es eine Lösung sein, dass einzelne Mitgliedsstaaten sich „einmauern“, wie es Ungarn unter Orban derzeitig praktiziert oder wie es Polen unter der Alleinregierung der national-konservativen PiS-Partei unter Ministerpräsidentin Beata Szydło macht? Viele andere Staaten, wie beispielsweise Österreich, Tschechien, Slowakei, Polen, Schweden und gar das einst so liberale Dänemark haben mit ihrer Mitterechtsregierung mittlerweile aufgrund des Drucks rechter und rechtspopulistischer Parteien wieder Grenzkontrollen zu den Nachbarstaaten eingerichtet, aus den sie einen eventuellen Zustrom von Flüchtlingen befürchten.
Es kann nicht sein, dass einzelne Mitgliedsstaaten der EU sich aus rein egoistischen Gründen aus einer gesamteuropäischen Herausforderung durch „Abschottung“ hinauszustehlen versuchen, und die Bewältigung anderen überlassen. Das ist wenig hilfreich und schon gar nicht solidarisch! Jedes Mitgliedsland nimmt gerne alle gebotenen Vorteile der Staatengemeinschaft sei es beispielsweise freier Warenhandel und finanzielle Zuschüsse der Gemeinschaft zugunsten bestimmter Projekt an, doch wenn es darum geht, Lasten der Gemeinschaft gleichermaßen und gemäß der Bevölkerungszahl und der Wirtschaftskraft einigermaßen gleich zu verteilen, handeln viele Staaten nach dem „Floriansprinzip“ und „beten“ recht unverblümt: „Heiliger Sankt Florian, verschon‘ mein Haus und zünd‘ das and’re an!“
Leider handeln zunehmend mehr und mehr Staaten nach diesem Prinzip, und das kann in letzter Konsequenz nur dazu führen, dass die Europäische Union über kurz oder lang am Ende sein wird und der Gedanke an ein einiges und friedliches Zusammenleben der Völker Europas „ad acta“ gelegt werden kann. Wie lautete in diesem Zusammenhang noch das geflügelte Wort der Landser der einstigen deutschen Wehrmacht, welches auch heute noch von allen Rechtspopulisten Europas zum Schaden aller Menschen gern propagiert wird? – Ach ja, es hieß: „Vorwärts Kameraden, wir müssen zurück!
Von Günter Schwarz – 09.05.2016
Das Problem ist sehr komplex und lässt sich nicht mehr in nur -Richtig oder Falsch- untergliedern. Eine uneingeschränkte Willkommenskultur ist ebenso Falsch wie das Schließen sämtlicher Grenzen. Ich sehe den eigentlichen Fehler in der versäumten Aufklärung und Integration durch Politik und Medien in den vergangenen Jahrzehnten und der bekloppten Botschaft „alle Menschen sind gleich“. Wir sind eben nicht gleich. Wir alle sind das mehr oder weniger gelungene Produkt unserer Herkunft, Erziehung, Bildung, Kultur und Religion. Dabei spielen dann auch nicht nur nationale, sondern manchmal sogar regionale Unterschiede im friedlichen Miteinander eine große Rolle. Wenn ein Schleswig-Holsteiner über die Sachsen Witze macht, oder ein Ostukrainer mal wieder über die Westukrainer schimpft, dann nennt man das eine liebenswerte regionale Mentalität. Sobald solche Witze oder bösen Kommentare eine Grenze überschreiten, wird es Nationalismus oder Hetze. Und dabei sind die Mentalitäten und Unterschiede zwischen weit entfernten Regionen viel viel größer als die zwischen Sachsen und Schleswig-Holstein.
Die Politik hat es bei der Vereinigung von Europa verschlampt, die Unterschiede und die Individualität der Nationen und Mentalitäten zu respektieren und auch zu nutzen. Statt dessen wurden alle in einen Sack geschmissen und von Brüssel diktiert. Das Konzept Europa musste also scheitern – ganz einfach weil ein Holsteiner Kartoffelbauer so rein gar nichts mit einem griechischen Obstzüchter gemeinsam hat und beide auch nicht verstehen können, warum sie den anderen plötzlich subventionieren müssen.
Dazu kommt die Aufnahme von Menschen unterschiedlichster Herkunft, die sich nicht ohne Weiteres wie ausländische Studenten oder Arbeitnehmer in ein Ausbildungsprogramm oder Arbeitsmarkt integrieren lassen. Wenn also Ausländer zunächst als Bittsteller empfunden werden und dann lautstark nach Gleichberechtigung rufen, sorgt das für gewisse Besorgnis bei den Einheimischen. Das ist ganz normal – wird aber von Politik, Medien und der sogenannten öffentlichen Meinung völlig ignoriert.
Laut einer n-tv-Umfrage denken 92% der Deutschen „Der Islam gehört nicht nach Deutschland“. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Aussage der rechtspopulistischen AfD. Die Mehrheit der Deutschen ist ebenfalls gegen eine visumsfreie Einreise von Türken. Diese Meinungen werden von der Politik einfach ignoriert und nicht selten sogar von Medien kriminalisiert. Es ist dann doch ein absoluter Wahnsinn, dass nur Rechtspopulisten dieses Problem benennen und dann auch gleich dafür beschimpft werden. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung sich für oder gegen etwas aussprechen, dann haben sich die Volksvertreter in der Politik damit zu beschäftigen. So einfach ist das.
Ich persönlich nehme mir die Freiheit jeden Menschen ohne Ansicht seiner Herkunft und Religion ganz ohne Grund scheiße zu finden. Dabei beleidige oder diskriminiere ich niemanden, sondern behandle alle gleich schlecht (mit dem nötigen Respekt, versteht sich). Ich lasse mir aber auch nicht vorschreiben, wer nun mein Bruder sein soll.
Politik und Medien täten gut daran die Unterschiede von uns allen zu respektieren. Es geht nicht darum, sich gegenseitig zu Tode zu integrieren, sondern vielmehr darum, sich durch die Unterschiede gegenseitig zu ergänzen und friedlich zusammen zu leben. Eine fremde Kultur lässt sich nicht aufstempeln. Sie muss wachsen – und das dauert Generationen. Der Versuch, die heimische Integrität zugunsten von Zuwanderung zu ignorieren oder sogar zu kriminalisieren, ist der falsche Weg. Das belegen die Erfolge der Rechtspopulisten in ganz Europa.