Während die Werke großer Künstler für Tausende von Euro in den Auktionshäusern und Kunstgalerien gehandelt werden, kämpfen zahllose Künstler Tag für Tag um ihr Überleben. Obwohl Künstler heutzutage die Möglichkeit haben, ihre Werke über das Internet einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Wir unterhalten uns mit Michele Raship, einer in Hamburg lebenden Grafikerin & Illustratorin aus Cloverdale, IN, USA.

Warum entscheidet man sich dafür, Künstlerin zu werden?

»Im Grunde ist es ein Beruf, wie jeder andere auch. Man entscheidet sich ja auch nicht dafür „Künstlerin“ zu werden, sondern eher Designer, Grafiker, Maler, Illustrator. All das ist ein Handwerk. Ob dann am Ende wirklich Kunst dabei rauskommt, liegt immer im Auge des Betrachters.«

Also ist es ein Handwerksberuf, wie jeder andere auch?

»Ja, eigentlich schon. Der Unterschied ist eben, dass es meistens nicht als solcher wahrgenommen wird. Wenn da einer den ganzen Tag auf einer Baustelle arbeitet, dann weiss jeder, das er hart arbeitet. Bei Zeichnern oder Malern sieht das anders aus. Viele meinen, dass ist nur so eine Art Hobby. Das liegt natürlich auch daran, dass so viele Leute auch in ihrer Freizeit zeichnen und malen.«

Sind diese „Freizeitmaler“ eine Art Konkurrenz?

»Nein, eigentlich nicht. Ich finde es toll, wenn Menschen sich kreativ beschäftigen. Ich finde das wichtig. Problematisch wird es, wenn diese Leute ihre Arbeiten verkaufen oder sogar Aufträge annehmen. Jemand, der einen Hauptberuf hat, kann es sich natürlich leisten, seine Kunst für sehr wenig Geld anzubieten. Bei Hauptberuflichen Illustratoren sieht das schon anders aus. Da muss man schauen, dass man irgendwie auf seinen Tagessatz kommt. Meistens klappt es nicht.«

Wie hoch ist so ein Tagessatz?

lacht »Meiner liegt bei 220 Euro. Aber da komme ich selten hin. Meistens schaffe ich so zwischen 80 und 150 Euro. Die „Überstunden“ rechne ich dann auch nicht mit. Am Ende arbeite ich meistens für weniger als 10 Euro Brutto die Stunde.«

Kann man davon leben?

»Reich wird man nicht. Ich habe zum Glück einige feste Kunden, auf die ich mich verlassen kann. Ohne solche Kontakte könnte ich von meinen Zeichnungen nicht leben.«

Wie kommt man an solche Jobs?

lacht »Das ist natürlich mein Berufsgeheimnis. Es gibt aber viele Möglichkeiten an Jobs zu kommen. Viele Freelance-Communities im Internet bieten eine Plattform für Auftraggeber und Auftragnehmer. Das große Problem bei diesen Jobbörsen ist der, dass meistens der den Job bekommt, der ihn am günstigsten anbietet. Da zerfleischt sich die Branche dann sozusagen selbst. Anstatt sich z. B. an internationale Freelance-Rates zu halten, kommt da immer einer, der es für weniger macht. Und das ist schon ziemlich deprimierend.«

Ist das Internet nicht eine tolle Möglichkeit, sich zu präsentieren?

»Nicht mehr. Ich sehe das Internet als ein visuelles Medium. Die Leute sehen jeden Tag Tausende von Bildern und achten schon gar nicht mehr darauf, was sie eigentlich sehen. Kannst du mir sagen, was du gestern im Internet gesehen hast? Klar kann man sich als Künstler auf Flickr, Tumblr oder Facebook präsentieren. Nur kann dann natürlich auch jeder deine Arbeiten klauen.«

Kunstraub im Internet? Gewerblich?

»Nein. Viele Leute betreiben auf Facebook oder Tumblr irgendwelche privaten Seiten und Communities und bedienen sich nach Herzenslust bei allen möglichen Künstlern. Katerina Belkina, z. B. ist eine russische Malerin, die ich sehr bewundere. Sie hat auf ihrer Facebook-Seite gerade mal 7.500 Likes. Wenn man sich anschaut, wie viele Likes so eine „Art-Community“ hat, kommt man nicht mit. Da kommt leicht das Zehnfache zusammen.«

Ist das nicht gut für die Künstler?

»Nein, das ist absolut nicht gut. Diese Leute posten etliche Bilder am Tag, die sie von irgendwoher zusammen geklaut haben. Dadurch haben sie natürlich einen ungeheuer massiven Umsatz an Klicks. Wenn ein Künstler eine Seite betreibt, wird ja nur das gepostet, was man selbst auch produziert. Ein Künstler kann also nie so viel posten wie diese Leute. Da geht man dann unter. Es wäre etwas anderes, wenn diese Seiten auf die Urheber verlinken. Machen sie nur nicht. Äußerst selten zumindest.«

Aber das Copyright ist doch geschützt?

»Theoretisch ja. Praktisch interessiert es niemanden, und welcher Künstler kann sich Anwälte leisten, die da hinterher steigen? Wenn ich ein Bild poste und irgendein Australier meine Arbeiten im Internet verbreitet, nutzt mir das Copyright gar nichts.«

Was wünscht du dir hinsichtlich all dieser Dinge?

lacht »Das ist so eine theoretische Frage. Die Antwort wäre vielleicht Respekt und Rücksichtnahme. Wenn Leute Respekt vor etwas haben, dann gehen sie auch nicht so leichtfertig damit um. Das betrifft Honorare ebenso wie den Umgang mit Kunst. Aber ich glaube, das ist alles Utopie. Der Mensch ist so auf Masse fixiert, dass Kunst ebenso konsumiert wird wie Klopapier. Ich erlebe das teilweise bei mir: ich entdecke irgendein Bild und kann es wochenlang anschauen und mich daran freuen. Da frage ich mich dann, wie andere Leute das machen. Die klicken da jeden Tag hundert „like“ und erwarten, dass am nächsten Tag wieder hundert neue Bilder da sind. Das finde ich gruselig.«

Welche Pläne hast du für die Zukunft

»Oh. Im Moment bin ich dabei, ein bisschen an meiner Performance zu feilen. Ein guter Freund hat mir verraten, dass man in Dänemark relativ gut mit Kunsthandwerk landen kann. Dort soll die Bereitschaft höher sein, Kunst fairer zu bezahlen als in Deutschland. Das ist für mich natürlich reizvoll. Also mal schauen, ob ich es schaffe, da ein paar Kontakte zu Galerien zu bekommen. Ich finde das aber total spannend und freue mich auf die nächsten Monate.«

Illustration für diesen Artikel:
Jon Snow, Game of Thrones, von Michele Raship, 2016, Calligraphy-Ink auf Papier

von

Michael Schwarz – 17.05.2016