Papst Pius V (1504-1572) hat nicht mit der GEMA gerechnet.
Freie Ausübung der Religion ist eines unserer Grundrechte. Und das ist gut so. Das Internet macht es vielen Menschen zudem leicht, religiöse Literatur zu allen möglichen Glaubensrichtungen zu lesen und an ihnen zu wachsen. Viele Apps stellen komplette Bücher, wie die Bibel in verschiedenen Übersetzungen, kostenlos zur Verfügung, und für die Katholiken gibt es die »Laudate-App«, die neben Tagesgebeten auch eine Übersicht zu den wichtigsten Tagesgebeten der römisch-katholischen und anglikanischen Kirche gibt. Jeweils mit Text und Hörbeispielen. Nicht herum kommt man natürlich um das »Ave Maria« (Gegrüßt seist du Maria), ein Gebet, welches seit dem 11. Jahrhundert zur Anrufung Marias, der Mutter Jesu Christi, zu den meistgesprochenen Gebeten gehört.
Der erste Teil besteht aus den biblischen Marienanreden des Erzengels Gabriel bei der Verkündigung des Herrn (LK 1,28) und der Elisabeth beim Besuch Marias (LK 1,42). Dieser Teil wurde schon seit dem 11. Jahrhundert im Stundengebet und in Andachten gebetet. Der zweite Teil ist die Bitte um den Beistand in der Todesstunde, die von Pius V. 1568 offiziell ergänzt wurde.
Das Gebet wird in traditionellen Gottesdiensten oft gesungen. Toll: die Laudate-App böte die Möglichkeit, sich das »Ave Maria« auch anzuhören… wenn die GEMA nicht wäre!
In Deutschland ist das nicht möglich, da die GEMA es sich nicht nehmen läßt, ein rund 900 Jahre altes Gebet für sich zu beanspruchen. Was da Hildegard von Bingen beim Bügeln ihrer Unterwäsche fröhlich vor sich hinpfiff, dürfen wir nicht hören! … sagt die GEMA.
Die staatlich legitimierte Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) gerät immer wieder in die Kritik. Verbraucher werfen dem wirtschaftlichen Verein »Abzocke« vor, während einige Künstler das Schaffen und Wirken dieser Organisation vehement verteidigen: »Die GEMA sind wir, die Komponisten und Textdichter!«, wütet Sven Regener von der Band Element of Crime im März 2012 während eines Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Die GEMA nimmt ihre Aufgabe ernst und sperrt gewissenhaft alles, was nicht wirklich geklärt ist. Da wird auch schon mal geklagt. Immer wieder bemüht die GEMA Gerichte zur Löschung urheberrechtlich geschützten Videoclips von der Plattform YouTube. Zum Wohle der Künstler … auch dann, wenn die Künstler selbst ihre Songs auf YouTube hochladen!
Warum die GEMA sich jedoch lithurgischem Liedgut bemächtigt, welches über Jahrhunderte einen wichtigen Teil der Gebete einnimmt, wirkt etwas befremdlich. Eventuell sollte man das Grundgesetz dahingehend erweitern, dass die Religionsfreiheit dort aufhört, wo die GEMA beginnt.
von
Michael Schwarz – 22.05.2016
Foto: »Krönung der Jungfrau Maria«, Gemälde von Diego Veláquez