Wie sich inzwischen erweist, hat die Türkei wie erwartet einen Weg gefunden, einerseits ihren Teil des Flüchtlingsabkommens mit der EU zu erfüllen und andererseits  aus dem Abkommen für sich den größtmöglichen Vorteil zu ziehen und die EU „so gut es geht“ zu benachteiligen.

Den Rahmen des Flüchtlingsabkommen, der in Brüssel zwischen dem Ex-Regierungschef der Türkei, Davutoglu, und der europäischen Kommission ausgehandelt wurde, interpretiert die Türkei doch sehr „eigenwillig“. Ausgemacht war, die Türkei sollte den Weg von syrischen und anderen Flüchtlingen den Weg über die Ägäis nach Griechenland und damit in die EU versperren und illegal in die EU eingereiste Flüchtlinge zurücknehmen, wofür die EU die gleiche Anzahl von Flüchtlingen der Türkei abnimmt und den Zuzug in die Europa legal gestattet. Vertraglich nicht ausgehandelt wurde, um welche Flüchtlinge es sich bei denen handelt, die die Türkei nach der Rücknahme von illegalen dann in die EU legal schickt.

Die Türkei hat dann wieder einmal einen eigenen „türkischen Weg“ gefunden, um möglichst bestens von diesem Vertrag zu profitieren und schickt der EU „vertragsgemäß“ die Anzahl von Flüchtlingen, die sie ihr abzunehmen zugesichert hat, wobei sie peinlich darauf achtet, dass keine Flüchtlinge das Land verlassen, die von der Türkei irgendwie von Nutzen sein könnten. So wird keinen Intellektuellen, Ärzten, Ingenieuren und anderweitig gut ausgebildeten Flüchtlingen die Ausreise genehmigt, und es werden gezielt gesundheitlich eingeschränkte, traumatisch belastete und schulisch wie beruflich nicht oder schlecht ausgebildete Personen ausgewählt, um in die EU auszureisen.

Insofern haben sich diesbezüglich die Kommissionsmitglieder der EU, die diesen Vertrag mit Herrn Davutoglu ausgehandelt haben, voll „über den Tisch ziehen“ lassen, denn mit etwas mehr Kenntnis über die türkischen Mentalität im allgemeinen und den Absichten eines Herrn Erdoğan im besonderen hätte man damit rechnen müssen.

Die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei besagt, dass syrische Flüchtlinge mit „besonderen Bedürfnissen“ nach Europa geschickt werden sollen, wobei die EU auch solche Flüchtlinge darunter versteht, die bereits Familienmitglieder in einem der EU-Mitgliedsstaaten haben. Dem UN-Flüchtlingshilfswerk, der UNHCR, und die den „Flüchtlingstausch“ überwachen sollte, teilte die Türkei mit, dass syrische Wissenschaftler nicht mehr zu den sogenannten „One-to-One-Mechanismus“ mit der EU gehören.

Inwieweit das heutige Treffen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan daran etwas ändern kann und wird, bleibt abzuwarten, aber sehr viel Optimismus wäre sicherlich unangebracht.

Die Erfahrung zeigt, Erdoğan lässt sich in nichts hineinreden, sei es der innenpolitische „Umbau“ seines Landes in eine „Erdoğan-Diktatur“ oder in irgendwelche Verträge seines Landes, die ihm nicht oder zumindest nicht so genehm sind, wie er sie verstanden haben möchte. Er macht, was er will!

Insofern ist Frau Merkel um die Verhandlungen nicht zu beneiden, die sie heute führt, um zumindest das zwischen der EU und der Türkei vereinbarte Flüchtlingsabkommen insofern zu retten, dass auf Europa ein weiterer Zustrom von Flüchtlinge erspart bleibt, wie es vom Sommer vergangenen Jahres bis in den Januar dieses Jahres der Fall war.

von
Günter Schwarz – 23.05.2016
Foto: unhcr