Die Stadt in Jylland hat weniger Einwohner als Schleswig, der Kader hat einen Marktwert wie den Holstein Kiels, und das Stadion ist nicht größer als das in Flensburg. Der Unterschied zu Schleswig, Kiel und Flensburg ist allerdings, der SønderjyskE Haderslev blickt in der kommenden Saison Europa-League-Nächten entgegen.

Nur durch Fouls zu stoppen: Johan Absalonsen (hellblau) schwebt mit SønderjyskE auf Wolke sieben.

Ganze zwei Heimspiele hatte der Verein mit dem großen „E“ in der Saison nur 2014/15 gewonnen und war einmal mehr nur knapp dem Abstieg entronnen. Ein Jahr später ist die Mannschaft aus der Provinz plötzlich dänische Fußball-Prominenz. Sønderjysk Elitesport belegt seit Monaten konsequent den zweiten Tabellenplatz in der Superliga und wird – soviel ist bereits sicher – in der kommenden Saison erstmals die europäische Spielwiese betreten. Platz drei ist den Kickern derweil zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte bereits sicher. „Das ist in etwa so, als würde Darmstadt 98 in die Champions League einziehen“, beschreibt der Sportredakteur des „Nordschleswigers“, Jens Kragh Iversen, die Dimension dieses Fußball-Wunders.

Fußballfans aus Schleswig-Holstein werden in der nächsten Saison mindestens nach Amsterdam, Kopenhagen, Berlin oder Dortmund reisen müssen, um den Europapokal live genießen zu können – oder sie fahren einfach einmal ein paar Kilometer gen Norden auf die kimbrische Halbinsel. Denn keine Autostunde von Flensburg entfernt wird derzeit äußerst erfolgreicher Fußball gespielt.

Der Grundpfeiler des Erfolges ist das Wunderwerk des Teamgeistes in einer verschworenen Einheit. Die Spieler betonen immer wieder die gute Stimmung in der Kabine. Der erst 35-Jährige Trainer Jakob Michelsen hatte zu Beginn der Saison eine vom Abstiegskampf gestählte Mannschaft übernommen und ihr eine neue Spiel-Idee, taktische Raffinesse und offenbar auch das Sieger-Gen eingepflanzt. „Hätte ich vor der Saison gesagt, dass wir einen der ersten Plätze in der Tabelle erreichen, wäre ich eingewiesen worden“, kommentierte der Fußball-Lehrer am Dienstag beim Sender DR1 seine erste Saison bei SønderjyskE, die gleich historisch wurde.

Michelsen, dessen Spitzname „Mini-Mourinho“ ist, gilt in Dänemark als größtes Trainertalent. Der Vergleich mit dem ehemaligen Chelsea-Trainer kommt vor allem daher, dass Michelsen wie Jose Mourinho nie auf höchstem Niveau kickte – aber trotzdem als taktisches Genie gilt, das nichts dem Zufall überlässt. 100.000 Kronen Ablöse überwiesen die Südjyten am Saisonanfang an Skive IK, um den smarten Tonderaner loszueisen. Zuvor wirkte er als U19-Trainer in Tansania. Michelsen lässt meist kontrolliert-offensiv mit einer 4-1-4-1-Formation spielen, ist aber taktisch während des Spiels so flexibel, dass er auch individuell unterlegene Mannschaften mit einfachsten Mitteln zu Erfolgen führen kann. Er liest das Spiel und stellt sein Team ganz rational auf Stärken und Schwächen des Gegners ein. So hat SønderjyskE in dieser Saison reihenweise Favoriten in die Knie gezwungen und diverse Male einen Rückstand aufgeholt.

Der Ex-Bochumer Tommy Bechmann bejubelt das 3:1 gegen Odense mit seinen Mitspielern.

Der Verein dahinter ist ein Konstrukt der regionalen Kräftebündelung. 2004 fusionierten die Vereine Haderslev Fodboldklub, TM Tønder, Sønderjyske HK und Vojens BI zu der heutigen Einheit Sønderjysk Elitesport oder kurz zu SønderjyskE. TM Tønder verließ das Gebilde 2006 wieder, dafür rückte der HF Sønderborg (Handball) nach. Man wollte mit dem Zusammenschluss, der sich nur auf die Profi-Bereiche bezieht, die finanziellen und personellen Möglichkeiten schaffen, in der Region Spitzensport zu etablieren und für Sponsoren und Zuschauer attraktiver werden.

Fünf der offiziellen Beweggründe für das Regionalprojekt

Bei der in Vojens beheimateten Eishockey-Abteilung entwickelte sich das Spitzensport-Projekt rasant. Als Serienmeister (2006, 2009, 2010, 2013, 2014, 2015) ist SønderjyskE Ishockey längst die erste Adresse im nationalen Hockeysport.

Bei König Fußball dauerte es etwas länger. Dem Vorläufer Haderslev FK war 2000 schon mal etwas gelungen, was bis dato als unmöglich galt, der Aufstieg in die erste Liga (Superliga). Doch man stieg postwendend wieder ab. Eben diese Erfahrung widerfuhr auch SønderjyskE nach dem ersten Aufstieg 2005. Erst 2008 konnte man sich dauerhaft in der Eliteliga etablieren, wenngleich man bis zum Mai 2016 das Dasein einer grauen Maus fristete und meist gegen den Abstieg antrat.

Die „Blue Section“ sorgt für Stimmung.

Die Heimstätte der Hellblauen, die Sydbank-Arena mitten in Haderslev, ist aktuell Tagesthema in Nordschleswig. Ihre Tribünen wurden in den letzten Jahren modernisiert, so dass dort Spieler der Europa League ausgetragen werden dürfen. Die nur aus Betonsockeln bestehenden Stehplatz-Kurven erinnern jedoch an vergangene Zeiten. Die Stadt Haderslev scheint nun Willens, das Stadion-Projekt mit Finanzhilfen fertig zu stellen. Mit einem Zuschuss von 10 Millionen Kronen sollen die Kurven mit den Tribünen verschmolzen werden, auch damit die Stimmung im Stadion unter den inzwischen zahlreichen SønderjyskE-Fans besser wird.

Der „Auswärts-Block“ der Stehplätze hinter dem Tor besteht nur aus Beton-Stufen.

Momentan fasst das Stadion 10.000 Zuschauer, da die UEFA allerdings keine Stehplätze zulässt, dürften zu den Europa-League-Spielen nur 4.500 Zuschauer kommen. Trotz der guten Spiele in dieser Saison war das Stadion bislang nie ganz ausverkauft. Am vergangenen Wochenende kamen 7.700 Zuschauer, der Rekord liegt bei 8.357.

Die treuesten und lautesten Fans der „BluE Section“ stehen auf der „VUC Syd Stimmungstribüne“ am Außenrand der großen Sitzplatz-Tribüne. Wenn die 50 Kehlen „Sønder!“ brüllen, hallt ihnen und den Spielern auf dem Rasen von der Gegengerade postwendend ein lautes „Jyske!“ entgegen. Wird ein Spieler der eigenen Mannschaft vom Gast allzu ruppig angegangen, skandieren und trommeln sie „Svin!“ (so, wie man das „Sieg“ aus deutschen Stadien kennt), den Zeigefinger auf den „Bösewicht“ gerichtet. Die Fan-Rivalitäten fallen angesichts der Geschichte des Clubs sehr milde aus, wobei die Lokal-Rivalen von Esbjerg fB bei den Hellblauen wohl die geringsten Sympathie-Punkte genießen.

Für die dänischen Fußball-Experten steht eigentlich vor jeder Saison fest, der SønderjyskE wird letzter und steigt ab. Eine grauere Maus gibt es nicht. Doch Sportchef und Ex-Spieler Hans Jörgen Haysen ist es mit klugen Entscheidungen auf dem Transfermarkt gelungen, klangheimlich ein Spitzenteam zu konzipieren. Meist sind es aufgrund der Randlage (dem so genannten Udkants-Danmark) und des schwachen Etats eher unbekannte Spieler, die die Station am Louisevej dazu nutzen, groß herauszukommen.

Mit Marc Dal Hende vom FC Vestsjælland und Janus Drachmann vom AC Horsens kamen zu Saisonbegann zwei erfahrene Spieler aus Liga 2. Sie schlugen genauso ein wie Balleroberer Adama Guira aus Burkina Faso und der derzeit verletzte Troels Klöve (auch von Horsens). Im Winter gelang mit dem schwedischen Junioren-Nationalspieler Simon Kroon von Malmö FF wohl der Königs-Transfer schlechthin. Der Rechtsaußen bereitete sechs Treffer vor und entlastet tatkräftig Johan Absalonsen, der auf dem linken Flügel für schnelle Angriffe sorgt. Der zweimalige Nationalspieler Absalonsen (31), der aufgrund vieler Verletzungen beim FC Kopenhagen nicht mehr zum Zuge kam, wechselte 2012 nach Haderslev und will die Nestwärme im Süden auch nicht mehr missen.

Das Restprogramm:
32. Spieltag 26. Mai, 20 Uhr SønderjyskE – Randers
33. Spieltag 29. Mai, 20 Uhr Brøndby IF – SønderjyskE

Die Tabelle der Top 4
………Verein……………..Spiele………..Punkte…….Tore………..Diff.
1. KC Købnhavn…………..31……………65………….56:26………..30
2. SønderjyskE…………….31……………58………….53:34………..19
3. FC Midtjylland (M)……31……………55………….53:32………..21
4. Brøndby IF……………….31……………51………….40:35………….5

Aber der Erfolg weckt selbstverständlich auch die Begehrlichkeiten anderer Clubs. Wie der Trainer werden auch die Spieler mit anderen Vereinen in Verbindung gebracht, die ganz andere Gehälter zahlen können, als der „zweitärmste“ Erstligist Dänemarks. So fanden sich schon die Scouts des englischen Meisters Leicester City im Sydbank Park ein. Innenverteidiger Pierre Kanstrup, der aus Kopenhagen stammt, wird wohl kaum in der Provinz zu halten sein, sollten die großen Clubs aus der Hauptstadt winken. Jedenfalls wollte der 27-jährige nicht abstreiten, dass ihn ein möglicher Wechsel beschäftigt.

Dass SønderjyskE bereits am Donnerstag als Vizemeister feststeht, ist gar nicht so unwahrscheinlich. Stürmer-Oldie Tommy Bechmann und Co. müssten dafür im letzten Heimspiel Randers schlagen und darauf hoffen, dass der letzte Konkurrent FC Midtjylland in Aalborg Federn lässt. Dass der Tabellenfünfte aus dem Norden Jütlands dringend drei Punkte holen muss, um die Chance auf Platz vier zu wahren, spielt dem Tabellenzweiten in die Karten.

Bis man im beschaulichen Haderslev wirklich auf Gäste wie Manchester United und Inter Mailand hoffen darf, ist es ohnehin noch ein weiter Weg. Als Vizemeister wäre SønderjyskE für die zweite Qualifikationsrunde der Europa League qualifiziert und dürfte dort wohl als ungesetzte Mannschaft auf einen schwierigen Gegner treffen, vermutlich aus Osteuropa. Platz drei der Superliga (der ist bereits sicher) ermöglicht den Einstieg in die erste Qualifikationsrunde. Der eigentliche Wettbewerb würde erst nach drei überstandenen Vorrunden und den Playoffs beginnen. Die Hinspiele finden am 14. Juli 2016, die Rückspiele am 21. Juli 2016 statt.

Fußball-Fans aus Schleswig-Holstein können sich schon eine Woche vorher am 8. Juli beim Testspiel in Kiel gegen Holstein ein Bild von den „Neu-Europäern“ machen.

Die bekanntesten Spieler der Vereinsgeschichte sind:
Simon Poulsen (bei Sønderborg, heute PSV Eindhoven)
Lasse Vibe (FC Brentford)
Rubin Okotie (1860 München)
Mustafa Kucukovic (früher HSV)
Tommy Bechmann (früher SC Freiburg, jetzt VfL Bochumt)
Johan Absalonsen (früher FC Kopenhagen)

von

Günter schwarz – 24.05.2016

Fotos: Götz Bonsen