Radioaktiver Atomabfall direkt an die Grenze?
Radioaktiver Atomabfall bald direkt an die Grenze?
Manch einem Bürgermeister wäre es wohl lieber gewesen, in seiner Gemeinde gäbe es keine geeignete Lagerstätte – eine Deponie, in der sehr schwach radioaktive Abfälle eingelagert werden dürfen. Solche Abfälle sollen nämlich bereits ab diesem Herbst beim Abbruch der Nebenanlagen, Bürogebäude, Kantinen oder Parkplätze vom Gelände der Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel sowie des Forschungszentrums Geesthacht eine Lagerstätte finden.
Bis zum Jahr 2029 sollen insgesamt 35.000 Tonnen solcher Abbruchabfälle unterhalb der Strahlungsgrenze von 10 Mikrosievert (mSv/ Jahresdosis in Norddeutschland: 700 mSv) auf sieben Standorte verteilt werden. „Dieser Wert liegt weit unterhalb der Strahlenpegel, die durch natürliche radioaktive Strahlung im Alltag auftreten können“, heißt es dazu in einer Präsentation des Kieler Umweltministeriums.
Martin Ellermann aus Harrislee gehört zu jenen sieben Bürgermeistern, die in ihrer Gemeinde, man muss wohl leider sagen, eine geeignete Deponie für diesen Fall haben: Entsorgung Balzersen GmbH & Co. KG. Direkt an der deutsch-dänischen Grenze.
Diese Abfälle dürfen nämlich nicht recycelt, sondern müssen eingelagert werden, hat Ellermann am Mittwoch bei einem zweistündigen Gespräch mit Umweltminister Robert Habeck und Vertretern der sieben Deponiebetreiber und aller beteiligten Kommunen in Kiel gelernt. „Emotional hat das bei den Kommunalvertretern keine Begeisterung ausgelöst“, sagt Ellermann. Noch am gleichen Abend hatte der Bürgermeister die Chance, seinen Hauptausschuss zu informieren – sozusagen seinen politischen Dienstvorgesetzten. Tenor: „In einer ersten Reaktion ist eine derartige Bauschuttablagerung in Harrislee nicht erwünscht.“ Natürlich habe er nur in aller Kürze informieren können, und Minister Habeck stehe auch für weitere Gespräche vor Ort und zur öffentlichen Diskussion bereit. Ellermann ist aber anzumerken, dass er die Bedenken seiner Politiker teilt: „Da könnte der Gemeinde ein falscher Stempel aufgedrückt werden.“
Offenbar gibt es in der Strahlenschutzverordnung für diese Art von Deponierung gar keine klar festgelegten Grenzwerte: „Jedenfalls gilt das nicht als Atommüll“, sagt Ellermann. Es gehe im Wesentlichen um Bauschutt von Gebäuden und Straßen sowie asbesthaltige Abfälle aus dem Umfeld der Reaktoren, die möglichst auf sieben Standorte verteilt werden sollen. Habeck habe den Kommunen jedenfalls versichert: „Da kommen keine Atommüllfässer.“
Als grundsätzlich geeignet für die Lagerung gelten neben Balzersen in Harrislee sechs Deponien in den Kreisen Ostholstein (Gremersdorf), Segeberg (Großenaspe, Damsdorf/Tensfeld), im Herzogtum Lauenburg (Wiershop) und im Kreis Rendsburg-Eckernförde (Schönwohld) sowie in Lübeck (Niemark).
Brisant: „Rechtlich gesehen kann diese Deponierung wohl auch angeordnet werden“, hat der Harrisleer Ellermann sich in Kiel belehren lassen: „Daran will ich aber gar nicht denken. Das muss einvernehmlich mit den Kommunen geregelt werden.“ Schwer vorstellbar – dass das Ministerium des Grünen-Politikers aus Flensburg so eine Deponierung in Harrislee anordnen würde. „Gesamtgesellschaftlich muss das natürlich gelöst werden“, ist Ellermann klar. Er habe den Minister aber auch auf die besondere Lage hingewiesen: „In Harrislee haben wir eine Deponie nur einen Steinwurf von der dänischen Grenze entfernt.“ Zudem finde auf der privaten Deponie laufender Besucherverkehr statt.
Auch der Zeitplan verstört manchen. Die Diskussion müsse vor dem Sommer beendet sein, weil im Herbst die Lagerung schon losgehen soll. Ellermann: „Wir lassen uns als Kommune nicht unter Druck setzen.“
von
Günter Schwarz – 27.05.2016