In Kürze startet die Hollywood-Fortsetzung von Tim Burtons »Alice im Wunderland« in den Kinos. »Alice Behind the Looking Glass« hält sich dabei, in alter Hollywwod-Tradition, nur sehr wenig an die literarische Vorlage. Und dabei verzaubert das Buch von Lewis Carroll Jung und Alt seit Generationen.

Die wundersame Geschichte beginnt an einem heißen Sommertag mit der leicht gelangweilten Titelheldin Alice, die sich von ihrer Schwester aus einem Buch vorlesen lässt, während sie ein sprechendes weißes Kaninchen bemerkt, welches ständig auf eine Uhr starrt und meine, es komme zu spät. Neugierig folgt Alice dem Kaninchen in dessen Bau, stürzt tief hinein und landet in einem sonderbaren Raum mit vielen kleinen verschlossenen Türen. Sie findet auf einem Tisch einen kleinen Schlüssel, einen Trank mit der Aufschrift “Trink mich”, der sie verkleinert, und einen Kuchen mit dem Hinweis “Iss mich”, der sie vergrößert, und muss erst einige Schwierigkeiten bewältigen, bevor sie schließlich auf die passende Größe für die einzige zu öffnende Tür des Saales schrumpft.

Mit der Tür öffnet sich für Alice eine Reise durch ein Wunderland, in welchem sie auf viele wundersame Kreaturen trifft, die ihr nicht alle wohlgesonnen sind. Die Reise beginnt im Haus des Kaninchen, in welchem Alice etwas isst und daraufhin so groß wird, das ihr Kopf an die Decke stößt und schmerzt. Alice beginnt zu weinen und schwimmt, nachdem sie wieder kleiner geworden ist, in dem Fluss ihrer Tränen davon. Nicht ganz allein: Sie trifft auf eine Maus, bei der es sich durchaus um eine französische Maus handeln könnte. So versucht Alice sich in ein wenig französischem Smalltalk. Aber schon ihre erste Frage: “Où est ma chatte?”, verärgert die Maus. Der Fluss füllt sich mit allen möglichen anderen Tieren und Vögeln, die durch das plötzlich steigende Wasser mitgerissen wurden. Schließlich werden alle an ein Ufer gespült und die Maus beginnt einen sehr trockenen Vortrag über “Wilhelm der Eroberer”. Ein Dodo befindet, dass ein Rennen eine sehr viel bessere Idee wäre, um wieder zu trocknen… Er schlägt vor, alle mögen doch gemeinsam im Kreis rennen, ohne dass es dabei einen klaren Gewinner gäbe.

Bei einer weiteren Begegnung mit dem weißen Kaninchen beginnt Alice wieder zu wachsen und landet nach einigem Hin und Her schließlich bei einer Wasserpfeife rauchenden Raupe. Die Raube befragt Alice eingehend zu ihrer offensichtlichen Identitätskrise und dabei insbesondere auf ihr Unvermögen, sich an ein ganz bestimmtes Gedicht erinnern zu können. Bevor sich die Raupe verabschiedet, weißt sie darauf hin, dass man mithilfe der Pilze wachsen und schrumpfen könne. Alice nutzt diese Gelegenheit, um sich auf eine passende Größe zu bringen.

Nach diesem Abenteuer treten die Herzogin, ihr Baby und die Grinsekatze (orig. Cheshire Cat, die verschwinden kann, während ihr Grinsen sichtbar bleibt), in die Geschichte. Alice gibt zu, dass sie zwar schon oft eine Katze ohne Grinsen, aber noch nie ein Grinsen ohne Katze zu Gesicht bekam.
Schließlich trifft Alice auf die verrückte Teegesellschaft: Hutmacher, Märzhase und eine sehr müde Haselmaus haben sich zu einer ganztägigen Teeparty versammelt, da die Zeit des Hutmachers auf 18 Uhr (Tea Time) stehen geblieben sei. Der Hutmacher bombardiert Alice mit immer neuen unsinnigen Rätseln, sodass sie schließlich die Teeparty verlässt und bemerkt, dass dies die dümmste Teeparty sei, auf der sie je gewesen ist.

Der Weg führt Alice in das Schloss der Herzkönigin und einen Hofstaat voller Spielkarten. Alice wird dazu eingeladen, bzw. es wird ihr befohlen, an einem Croquetspiel teilzunehmen, bei welchem die Schläger Flamingos und die Bälle Igel sind. Das Spiel gerät schnell außer Kontrolle und endet in einem heillosen Chaos, bei dessen Ende die nur schwer zufriedenzustellende Königin sämtliche Anwesenden zum Tode verurteilt. Wieder taucht die Grinsekatze auf und die, ohnehin missgelaunte, Königin befielt, dass man die Katze sofort enthaupten möge. Der Scharfrichter kritisiert, dass man keine Katze enthaupten kann, von der ohnehin nur der Kopf zu sehen sei. Auf Wunsch von Alice schickt man nach der Herzogin, der die Katze gehört, und die sich nach Meinung der Königin dieser Affäre annehmen sollte.

Nach einigen weiteren Abenteuern wird Alice schließlich als Zeugin zu einer Gerichtsverhandlung geladen, bei der ein Untertan der Königin verurteilt werden soll, weil er ein Törtchen stahl. Zu der Gerichtsverhandlung werden auch andere Zeugen gehört, die man aus der Geschichte bereits kennt. Alice bemerkt, dass sie während der Gerichtsverhandlung unaufhörlich wächst, und wird schließlich vom Vorsitzenden der Verhandlung, dem Herzkönig, dazu aufgefordert das Gericht zu verlassen. Grundlage dieser Entscheidung sei Artikel 42 der Prozessordnung, die besagt: “Alle Personen, die mehr als eine Meile hoch sind, haben den Gerichtshof zu verlassen”. Alice protestiert und weigert sich den Mund zu halten, bis die Königin schließlich ihr nur allzu bekanntes “Schlagt ihr den Kopf ab!” brüllt.

Während sich die Spielkarten sich auf Alice stürzen, wird diese von ihrer Schwester zum Tee geweckt. Alice erwacht und verbringt einige Zeit allein auf der Bank, auf der sie eingeschlafen sein muss.

Tatsächlich handelt es sich bei dem erstmals 1865 erschienenen Kinderbuch des britischen Schriftstellers Lewis Carroll um eine wunderliche Geschichte, die praktisch jeder, zumindest dem Titel nach, kennt. Alice im Wunderland wurde seit Beginn des 20.Jahrhunderts mehr als 20-mal verfilmt. Spätestens Tim Burtons Verfilmung aus dem Jahre 2010, mit Mia Wasikowska und Johnny Depp in den Hauptrollen, brachte auch der neuen Generation die Geschichte und ihre Figuren näher; obwohl sie sich, wie man es von Hollywood nicht anders gewohnt ist, nicht besonders feinfühlig an die literarische Vorlage hält. Figuren, Hinweise und vor allem Zitate aus Carrolls Geschichte finden wir derweil in unzähligen Filmen und Büchern. Leider entspringt auch eines der bekanntesten Zitate nicht dem Originaltext von Lewis Carroll, sondern der Disney-Verfilmung von 1951:

“If I had a world of my own, everything would be nonsense. Nothing would be what it is because everything would be what it isn’t. And contrary-wise; what it is it wouldn’t be, and what it wouldn’t be, it would. You see?”

Elemente, Figuren und Metaphorik haben unverändert großen kulturellen Einfluss. Das weiße Kaninchen, die Grinsekatze, der Jabberwocky, der Märzhase und der verrückte Hutmacher oder auch einzelne Episoden wie beispielsweise die der Teegesellschaft, in die Alice hineingerät, werden in der Popkultur immer wieder aufgegriffen und zitiert. Wer kennt nicht das Zitat “Folge dem weißen Kaninchen” aus dem 1999 produzierten Wachowski-Film “The Matrix”?

Alice im Wunderland gilt nicht nur als eines der hervorragenden Werke aus dem Genre des literarischen Nonsens, sondern zählt, gemeinsam mit der 1871 erschienen Fortsetzung “Alice hinter den Spiegeln”, zu den Klassikern der Weltliteratur. Die britische Tageszeitung The Guardian nahm 2009 sowohl “Alice im Wunderland” als auch “Alice hinter den Spiegeln” in die Liste der 1000 Bücher auf, die jeder gelesen haben sollte.

Carrolls Erzählung enthält zahlreiche satirische Anspielungen auf persönliche Freunde des Schriftstellers und auch auf Schullektionen, die Kinder im England jener Zeit oft nur mit großer Unlust auswendig lernen mussten. Dabei spielt Carroll in solch geschickter Weise mit Philosophie und Logik, dass sich seine fiktive Welt mit all ihren wundersamen Gestalten nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen, dank seiner satirischen Elemente und wunderbaren Wortspiele, großer Beliebtheit erfreut. Der Text ist sehr leicht zu lesen und durchaus für Kinder geeignet. Dabei zwingt der Autor dem Leser die schwere Last der Philosophie und metaphorischer Logik nicht auf, sondern hält sie im Verborgenen. Dinge, über die man als Erwachsener gern nachdenken sollte, aber auch nicht unbedingt muss.

Alice im Wunderland ist damit ein, für jung und alt, empfehlenswertes Buch oder wie der Guardian sich ausdrückt: “Eines der 1000 Bücher, die jeder gelesen haben sollte.”

Originaltext des Buches im Projekt Gutenberg

Lewis Carroll,
Alice im Wunderland,
insel Taschenbuch Verlag, € 7,-

Roman, ertmals erschienen 1865, erschienen August 1973, Auflage 27,
in einer Übersetzung von Christian Enzensberger mit Illustrationen von John Tenniel,
ISBN-10: 3458317422 | ISBN-13: 978-3458317425

von
Michael Schwarz – 31.05.2016
Fotos (c) M.Y.Photography für massolit.de 2015