EU taumelt vor Ohnmacht
Die vielen afrikanischen Migranten, die jetzt, besonders in den Sommermonaten das relativ ruhige Wasser des Mittelmeeres nutzen und von Libyen aus versuchen, europäischen Boden meist über Italien aber vereinzelt auch über Kreta (Griechenland) zu erreichen, stellen die EU wieder vor neue Probleme, die erstens gar nicht so neu sind und zweitens seit langem zu erwarten waren.
In vielen europäischen Staaten der Gemeinschaft war man erleichtert, als durch die Initiative vor allem Österreichs in Verbindung mit den Balkanstaaten die sogenannte Balkanroute geschlossen werden konnte und der griechische Grenzort Idomeni zu Mazedonien zu einem Synonym für „beendete Flüchtlingsträume“ wurde.Hinzu kam aufgrund des Verhandlungsgeschicks vor allem der deutschen Bundekanzlerin Angela Merkel die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei, wodurch auch der Zustrom von Flüchtlingen nach Griechenland erst enmal weitgehend gestoppt wurde.
Doch kaum wurde dieses „Loch gestopft“, tat sich schon wieder ein neues auf, denn bis zum jetzigen Zeitpunkt kamen allein nach Italien in diesem Jahr schon rund 48.000 Flüchtlinge nahezu ausnahmslos aus afrikanischen Staaten. Diese Zahl nennt die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen UNHCR.
Diese Migranten aus den afrikanischen Ländern sind zumeist keine Flüchtlinge nach den Regeln des Genfer Flüchtlingsabkommens von 1951, sondern es sind sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge – auch illegale Asylbewerber genannt – die auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben sind und sicher auch von etwas mehr Wohlstand und bessere Chancen träumen.
Die Frage ist, was kann die EU tun, um diesen neuen Flüchtlingsstrom entweder unterbinden zu können oder ihn irgendwie geordnet geregelt zu bekommen. Wie hilflos die EU diesem Problem momentan gegenübersteht, zeigt sich besonders an der Äußerung des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz vom vergangenen Sonntag, der auf die spektakuläre Idee kam, die Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer abzufangen und die Bootsinsassen auf irgendwelchen Inseln im Mittelmeer zu internieren bis über ihre Asylanträge entschieden ist.
Gut, Australien soll es so praktizieren, wie Sebastian Kurz sagt, aber erstens zieht es bei weitem nicht so viele Flüchtlinge nach Australien, wie Europa sie verkraften muss, und von daher können die Asylanträge auch in einem überschaubaren Zeitraum bearbeitet werden, was in Europa unmöglich ist, denn man nehme nur einmal die „paar tausend“ Flüchtlinge, die schon seit Monaten auf ein paar griechischen Inseln festsitzen und über deren Asylanträge noch nicht entschieden ist bzw. die bislang noch nicht einmal ansatzweise bearbeitet wurden.
Der Vorschlag von Kurz wirft eine Reihe von praktischen Problemen auf und dürfte zudem zusätzlich gegen so manche Regeln der Menschrechtskonvention verstoßen. Aber dennoch muss die EU selbst in der Lage sein, ihre Grenzen zu schützen und den Fluss von Migranten geordnet zu regulieren und über ganz Europa gerecht zu verteilen. Die Aufgabe kann nicht anderen überlassen werden, wie jetzt versucht wird, diese Aufgabe den afrikanischen Herkunftsländern der Flüchtlinge anzuvertrauen.
Die neuen Ideen der Europäischen Kommission gehen dahin, die Kontrolle der EU-Außengrenzen weit vorzuverlagern und die Verantwortung der Kontrollen möglichst den Herkunftsländern zu übertragen, indem man afrikanische Länder mit wirtschaftlichen und finanziellen Anreizen locken will, dabei mitzumachen, ihre Bürger gar nicht erst in Richtung Europa ziehen zu lassen, und jene Länder sanktioniert, die sich dem Kontrollsystem verweigern
Ob und inwieweit eine derartige Idee überhaupt zu realisieren ist, muss abgewartet werden, doch ist es recht zweifelhaft, dass selbst die Staaten, die gerne dabei mitmachen möchten, organisatorisch und personell dazu überhaupt in der Lage sind, diese Herausforderung zu bewältigen. Hinzu kommt der Unsicherheitsfaktor der Regierungen in diesen Ländern, die zumeist diktatorisch regiert werden.
Wer garantiert der EU, dass sich diese Länder an die mit der EU abzuschließenden Vertäge halten und diese Verträge eines Tages nicht dazu nutzen werden, die EU zu erpressen, indem sie beispielsweise der EU sagen, entweder ihr erhöht den Betrag oder ihr gewährt uns diese oder jene Handelserleichterung oder sonst etwas, oder wir schicken euch wieder Menschen nach Europa? Der „Herr“ Erdoğan macht es den Afrikanern doch jetzt schon vor, wie gut und schnell sich die EU erpressen lässt, wenn man ihr nur „selbstbewusst genug“ gegenübertritt, und das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist erst wenige Monate alt.
Festzuhalten ist, dass sich die EU mit der Sicherung ihrer Außengrenzen mit den derzeitig aktuellen Ideen und Vorschlägen einzelner EU-Politiker „auf sehr dünnem Eis bewegt“, die keineswegs von Erfolg gekrönt sein werden und lediglich ein weiteres Zeichen der Ohnmacht sind, wie Europa derzeitig versucht, seine Probleme zu lösen.
von
Günter Schwarz – 09.06.2016