Der Brexit und Dänemark
Der 23. Juni rückt näher, denn dann stimmen die Briten über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union ab. Es sind übrigens die Briten und nicht nur die Engländer, die über diesen Verbleib entscheiden. Schotten, Waliser, Nord-Iren geben neben den Engländern nämlich auch ihre Stimmen ab. Ein Detail, das auch sonst gut informierte Kommentatoren gerne übersehen. An dieser für Schotten, Waliser und Nord-Iren sehr wichtigen Unterscheidung fängt es an, was für heimische Beobachter vielleicht wie Pedanterie wirken mag, und es zeigt, wie komplex Europa und die politische Zusammenarbeit in der EU sind. Es gibt nicht nur 28 Mitgliedstaaten in der EU, sondern zahlreiche Völker, Nationen, Nationalitäten, Volksgruppen, Minderheiten. Und ganz nebenbei, für alle dänischen und deutschen Fußballkommentatoren wünscht man sich oft die Information, dass die Niederlande nicht gleich Holland ist, wobei dieses bei der bevorstehenden Europameisterschaft bekanntlich dieses Mal keine Bedeutung haben wird…
Doch zurück zum eigentlichen Thema: Dem Brexit. Die Umfragen sagen ein Kopf an Kopf Rennen voraus. Sogar der amerikanische Präsident sah sich bemüßigt, sich in den Wahlkampf einzuschalten und für den Verbleib der Briten zu werben. Europa macht sich große Sorgen! Interessant ist zu beobachten, wie die Europäische Kommission – also quasi die Regierung der EU – ihre Taktik zu ändern scheint. Bislang haben sich Juncker, Vestager und Timmermans in Brüssel sehr zurückgehalten und sich davor gehütet, allzu markant in nationalen Angelegenheiten Stellung zu beziehen. Immer deutlicher wird, dass die EU-Kommission es leid ist, für alles Übel Europas verantwortlich gemacht zu werden. Man fängt an sich zu wehren und sucht auch – wenn nötig – den offenen Streit (siehe Polen, Ungarn) mit den Mitgliedsstaaten. Auch in der Frage des möglichen Brexit, spielt die Kommission „Hardball“. Großbritannien geht schweren Zeiten entgegen, falls man die EU verlässt, und mit Verständnis aus dem Berlaymont-Gebäude in Brüssel ist nicht zu rechnen.
Vergleicht man die Argumente, die in Großbritannien und in Dänemark für einen EU-Austritt angeführt werden, fallen diese sehr unterschiedlich aus. Die EU-Skepsis in Dänemark ist eine ganz andere, als in Großbritannien. Die Briten ärgern sich vor allem über die gefühlte Bevormundung im Bereich der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik. Mit dem Stolz eines ehemaligen Weltreichs in der Brust kann man es nur schwer verkraften, sich aus Brüssel belehren und zurechtweisen zu lassen. Der dänische Skeptizismus ist ein anderer. Man hat Angst vor dem Verlust der eigenen nationalen Identität und Souveränität. Der dänische Widerstand ist emotionaler – der Brite an sich, ist so selbstbewusst und gefestigt, dass er keine Angst hat, aus Brüssel drohe die Vernichtung der eigenen nationalen Identität.
Die dänischen EU-Skeptiker und Kritiker haben ein Problem. Was macht die zumeist sehr populistisch agierende Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei), wenn der Brexit eintritt? Fordert man dann umgehend eine dänische Volksabstimmung? Wie sehr sich DF bei diesem Thema winden muss, wird deutlich, wenn man das Interview mit dem Vorsitzenden Thulesen Dahl liest, der – man höre und staune – gar nicht davon ausgeht, dass Großbritannien die EU verlässt, falls die Mehrheit für einen Austritt stimmen werde!
Thulesen Dahl sieht vielmehr einen neuen Status Großbritanniens als realistische Alternative. Einen Status, den dann auch Dänemark anstreben sollte. Übersetzt heißt das wohl: „Wir mögen die EU nicht, wollen sie aber auch nicht verlassen.“ Hier zeigt sich das volle Gewicht des Populismus der EU-Gegner. Alles was nicht funktioniert, wird gerne der EU in die Schuhe geschoben – aber einen Austritt, kann man sich nicht vorstellen. Denn so klug ist man auch bei der DF. Vielleicht schaffen es die Briten alleine, ohne die EU. Dänemark jedoch hätte keine Chance, ohne die Solidarität und den Mehrwert (wirtschaftlich, sicherheitspolitisch, kulturell) aus dieser Zusammenarbeit.
von
Günter Schwarz – 10.06.2016