Ein in Deutschland lebender Rentner, der für seine Arbeit z. B. in einem Flensburger Industrieunternehmen, bis zu 721 Euro Rente bezieht, bekommt diese steuerfrei ausbezahlt. Sein Kollege, der im Alter wieder nach Dänemark gezogen ist, bekommt zehn bis 20 Prozent weniger. Den Fehlbetrag kassiert der deutsche Staat ab.

Diskriminierung, meinen Kritiker. Denn: Laut EU-Regeln dürfen Mitgliedstaaten EU-Bürger – trotz weitgehender Freiheiten im Steuerrecht – nicht in Bezug auf Nationalität oder Wohnland diskriminieren. So steht es ausdrücklich im „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“.
Post aus Neubrandenburg

Rentner mit Alterseinkünften aus Deutschland bekommen seit einigen Jahren regelmäßig Post vom Finanzamt Neubrandenburg mit der Aufforderung, die Steuern zu erklären. Und das auch rückwirkend. Bereits 2005 wurde eine Gesetzesänderung beschlossen, deren Kern es ist, dass bei im Ausland lebenden Rentnern der deutsche Grundfreibetrag von derzeit 8.652 Euro jährlich wegfällt. Die entsprechenden Steuern werden jedoch erst seit 2012 eingetrieben. Immerhin: Voll besteuert werden die im Ausland lebenden Rentner noch nicht – erst 2040 wird das der Fall sein. Bis dahin wird der zu besteuernde Anteil schrittweise angehoben, momentan beträgt er 70 Prozent.

Die EU widerspricht sich selbst

Bereits 2012 hat die EU auf Anfrage Christel Schaldemoses (Soz.) entgegen des Geistes des oben genannten Vertrages festgestellt: „Da die Situationen von Einwohnern und Nicht-Einwohnern eines Landes nicht vergleichbar sind, ist es legitim, den Steuerfreibetrag nur Einwohnern des Landes zu gewähren.“ Das Existenzminimum und andere Formen von Freibeträgen werden am besten in dem Land festgelegt, in dem der Bürger lebt, so die Darstellung der EU-Kommission weiter. Doch wie soll Dänemark deutsche Steuerabzüge rückgängig machen?

Der Weg über die Gerichte scheint versperrt – doch ein neuer EU-Experten-Bericht macht Hoffnung
In einem aktuellen Schreiben des Steuerdirektorates der EU-Kommission, das dem Nordschleswiger vorliegt, wird die deutsche Praxis zunächst erneut gerechtfertigt. Man beruft sich, wie es die EU bei allen Anfragen (Beispiel Schaldemose) zum Thema tut, auf einen EuGH-Präzedenzfall aus dem Jahre 1995, der seither mehrfach bestätigt wurde – der jedoch auch Jahre vor der aktuellen Fassung des EU-Arbeitsvertrages entschieden wurde.

Dass rückwirkend Steuern bis 2005 erhoben werden, sei völlig Rechtens, heißt es weiter, weil das Gesetz ja bereits seit 2005 gegolten habe. Dass jahrelang keiner der Betroffenen davon erfuhr, sei unerheblich.
Deutschland ist zuständig

Warum werden die Klagen immer wieder abgewiesen? Nun, im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Dänemark und Deutschland heißt es klar, dass der Staat, in dem die Rente angehäuft wurde, für die Besteuerung dieser zuständig ist. Ausnahme: Wer mehr als 90 Prozent seiner Rentenbezüge aus Deutschland erhält, kann sich auch dort uneingeschränkt Steuerpflichtig melden und somit in den Genuss des Freibetrages kommen.
Lösungswege

Klagen gegen die deutsche Praxis, auch aus anderen Staaten, mit denen die Bundesrepublik Doppelbesteuerungsabkommen unterhält, sind immer wieder vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheitert. Dänemarks damaliger Finanzminister Benny Engelbrecht (Soz.) hatte, wie berichtet, 2015 auf eine Folketingsanfrage hin darauf verwiesen, dass der EuGH die Frage bereits entschieden habe.

Doch: Im jüngst veröffentlichten Bericht der 21-köpfigen „Expertengruppe der Kommission zur Beseitigung von Steuerproblemen von Personen, die in der EU grenzüberschreitend tätig sind“ wird das Problem jetzt ebenfalls bemängelt. Dort heißt es, dass es ja „nicht vorteilhaft“ sei, wenn das jetzige Wohnland Steuererleichterungen einräumen soll, wo doch im ehemaligen Arbeitsland bereits besteuert worden sei.

Für diejenigen, die den Großteil ihres Einkommens aus einem anderen als dem Wohnland beziehen, seien Erleichterungen deshalb bereits eingeräumt (so wie die 90-Prozent-Regel in Deutschland) – doch: „es stellt sich die Frage, ob der Anspruch von Nicht-Einwohnern auf persönliche Erleichterungen (…) ausgeweitet werden sollte.“ Die Expertengruppe schlägt deshalb vor, dass auch Personen, die einen Anteil von 50 Prozent oder mehr ihrer Bezüge aus einem anderen Land beziehen, von den für dort Lebende geltenden Steuervorteilen profitieren sollten. Wünschenswert sei zwar auch eine generelle Gleichberechtigung, die jedoch „einen höheren Grad der Harmonisierung der Mitgliedsstaaten“ voraussetzen würde.

In jedem Falle, so die EU-Experten deutlich, sollte mit der Fall-zu-Fall Politik durch den Europäischen Gerichtshof Schluss sein, „man sollte sich auf eine systematische Lösung der Probleme bei persönlicher und landesspezifischen Abzügen einigen“.

Ein deutlicher Aufruf an die Politik, sich nicht weiter wie bisher mit dem Verweis auf EuGH-Urteile zu begnügen, sondern sich für ein Ende der unterschiedlichen Behandlung dänischer Rentner einzusetzen.

von

Günter Schwarz – 13.06.2016