Es hat schon Tradition. Auch im Norden. Die muslimischen Gemeinden laden Nichtmuslime im Ramadan zum gemeinsamen abendlichen Fastenbrechen ein, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Meistens ohne dabei in die Schlagzeilen zu geraten wie gerade in Hamburg. Dort wurde Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, kurzfristig wieder ausgeladen. Aus Sicherheitsbedenken, so die DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V) Nord. Auch in Hannover fand in dieser Woche ein Begegnungs- und Diskussionsabend statt – und zwar des DITIB-Landesfrauenverbandes Niedersachsen und Bremen.


Unter der Schirmherrschaft von Doris Schröder-Köpf (2.v.l.), der niedersächsischen Beauftragten für Migration und Teilhabe, fand der Diskussions- und Begegnungsabend in den Räumen des DITIB Landesverbandes Niedersachsen und Bremen statt.
„Damit kommen wir zu den entscheidenden Fragen von heute Abend: Sind wir muslimischen Frauen nun Teil dieser Gesellschaft oder doch nicht?“ Nazli Bayrak, die stellvertretende Vorsitzende des DITIB Landesfrauenverbandes Niedersachsen und Bremen, eröffnete den Diskussions- und Begegnungsabend in Hannover. Rund 60 muslimische und nichtmuslimische Frauen und Männer waren gekommen, um miteinander und nicht übereinander zu sprechen. Denn die muslimischen Frauen möchten nicht länger als unterdrückt wahrgenommen, sondern als gleichberechtigt akzeptiert werden. „Und deshalb sind solche Veranstaltungen so wichtig, was wir als Frauen auch erkannt haben. Wir müssen mehr in den Vordergrund, mehr mitmischen“, fordert Bayrak.

Erleichterung über erneute Vertragsverhandlungen

Später am Abend. Fastenbrechen im Ramadan. Zeit, Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen. Auch über andere Themen, die viele Muslime bewegen. Über den Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und den muslimischen Verbänden zum Beispiel. Yilmaz Kilic, Vorsitzender der DITIB in Niedersachsen und Bremen, ist erleichtert, dass in dieser Woche wieder Bewegung in die Vertragsverhandlungen gekommen ist. Umstritten ist nach wie vor, wie groß der Einfluss der derzeitigen türkischen Regierung auf die DITIB ist. „Wir haben jetzt in die Präambel reingeschrieben, dass die Verbände unabhängig entscheiden – Punkt“, betont Kilic. „Wenn festgestellt wird, dass der DITIB-Landesverband nicht unabhängig ist, dann soll das Kultusministerium sagen, Religionsunterricht ade. Damit hätte ich überhaupt kein Problem.“

„Politische Themen spielen bei uns keine große Rolle“

Yilmaz Kilic wehrt sich gegen den Vorwurf, dass der DITIB Landesverband Niedersachsen und Bremen sich auch in der „Armenienfrage“ nicht genug von der türkischen Regierung distanziert habe: „Wir sind eine islamische Religionsgemeinschaft, politische Themen spielen bei uns in erster Linie keine große Rolle. Und was Herr Erdogan sagt, ist seine Meinung, die Meinung des Staatspräsidenten der Türkei. Und da muss ich keine Stellungnahme abgeben, ich bin deutsche Staatsbürgerin.“

Auch Geschäftsführerin Emine Oguz sieht ihren Verband nicht als verlängerten Arm der türkischen Regierung: „Wir haben einen Großteil von Gemeindemitgliedern, der stark an sein Herkunftsland gebunden ist. Die finden das okay, was in der Türkei ist, wie die Regierung arbeitet. Aber wir sind als DITIB trotzdem sehr heterogen. Weil unsere Gemeindemitglieder bunt gemischt sind. Von links bis nach rechts politisch engagiert, auch von sehr stark religiös bis gar nicht religiös.“
Die Islamfeindschaft wächst

Was eine aktuelle Studie der Universität Leipzig gerade erst bestätigte, spüren viele Muslime schon seit Längerem: Die Islamfeindschaft wächst. Gründe für diese Entwicklung sind u. a. die Anschläge von Paris, Brüssel und Orlando sowie die Auftritte des türkischen Staatspräsidenten in der Öffentlichkeit. „Bis vor kurzem konnte man mit seinem Nachbarn vernünftig sprechen – heute muss man über den Islam sprechen, man muss sich wieder vorstellen und sagen: Ich bin der gute Moslem“, so Kilic. „Unsere Moscheegemeinden werden angegriffen, wir haben Anschläge, alles geht in Richtung Islamophobie“, berichtet Bayrak. „Und das finde ich fatal.“


„Alles geht in Richtung Islamophobie. Und das finde ich fatal“, sagt Nazil Bayrak.
Katrin Grossmann, die Dialogbeauftragte im Bistum Osnabrück, beobachtet, dass es immer schwieriger wird, auf einer sachlichen Ebene miteinander ins Gespräch zu kommen. Und das macht ihr große Sorgen, „weil uns das hindert, Probleme wirklich anzugehen und weil es dafür sorgt, dass diejenigen, die dieses Zusammenleben zerstören wollen, fanatische Terroristen oder rechte Kräfte innerhalb unserer Gesellschaft, Erfolg haben, indem das in der Mitte der Gesellschaft ankommt.“

So banal es klingen mag: Es ist heute wichtiger denn je, mehr aufeinander zuzugehen. Darüber herrschte auch an diesem Abend in Hannover Einigkeit.

von

Günter Schwarz – 19.06.2016