Es sind die Machthaber und deren Claqueure in den einzelnen Ländern, die Patriotismus zur absoluten Bürgerpflicht erheben.

Claus Bryld, emeritierter Prof.. in Geschichte und Altertumsforschung der Universität Roskilde:
„Am 5. Juni feierten wir unsere Verfassung, die seit 167 Jahre gültig ist. Es ist ein beeindruckendes und dauehaftes Dokument, das 1849von dem umstrittenen Bischof D. G. Monrad und Orla Lehmann geschrieben wurde. Wir haben ihnen dafür viel zu verdanken, obwohl die Demokratie erst durch die dritte Verfassungsänderung im Jahr 1915 eingeführt wurde. Dabei erst wurde das Stimmrecht auch auf alle erweirert, die zuvor außerhalb des politischen Lebens standen wie Huren, Arme, Fremde, Bankrotteure, Narren und Verbrecher.“

Wie immer finden auch Verfassungsverhandlungen in diesem Jahr statt. Hier haben die führenden Politiker die Möglichkeit, die Grunddechte von relativ veralteten Regeln frei und ohne große Debatten zu befreien.

Mehrere Redner konzentrierten sich auf das Nationale, sowohl der  Premierminister Lars Løkke Rasmussen als auch Kristian Thulesen Dahl og Mette Frederiksen, die Führer der drei „Macht-Parteien“ in Dänemark, wie man sagen könnte, und die vielleicht das Trio in einem künftigen Parlament sein werden..

Laut Zeitungsmeldungen pries Løkke Rasmussen die dänische Freiheit und den Wohlfahrtsstaat und er ermahnte die Dänen, die die Regierung und die parlamentarische Mehrheitspolitik ablehnen und, wie er sagte, einige von ihnen versuchten sogar „Dänemarks guten Ruf in den internationalen Medien anzuschwärzen,,, ich denke, es ist leicht übertrieben, dass einige sch nicht darauf beschränken zu sagen, dass sie sich schämen, Dänen zu sein.“ Wer, fragte er sich, vielleicht aus diesem gutem Grund nicht erschienen ist, soll es tun, wenn er so denkt. Allerdings gibt es viele, die gesagt oder geschrieben haben, dass sie über die Regierung und ihre Politik beschämt sind, nicht zuletzt nur wegen der Flüchtlinge als solche, sondern auch über die Art und Weise wie Flüchtlinge und Immigranten in der öffentlichen Diskussion auch von der Seite der führenden Parteien genannt werden,

Der Premierminister erklärte weiter: „Es ist eine staatsbürgerliche Pflicht, sein Land zu lieben und zu ihm zu stehen. Und einige Dänen haben in letzter Zeit die Bürgerpflicht beiseite gestellt.“

Vor allem ist es nirgends geschrieben, nicht einmal in der Verfassung, dass die Bürger ihr Land lieben müssen. Liebe ist in der Regel ein den Menschen vorbehaltendes Gefühl und nicht abstrakt zu einer Nationen zu gehören. Die meisten verbindet eine natürliche Sympathie mit ihrer Nation, die auch feierlich Patriotismus genannt wird, und im klassischen Nationalismus bedeutet es, dass man auch bereit sein muss, für sein Land zu sterben (zumindest die Männer). Es ist kaum anders als bei Berufssoldaten, wie es noch heute ist, und ich sehe darin einen Zivilisationsfortschritt. Und das Gefühl des nationalen Zusammenhalts, wie wir es aus dem dänischen Liedgut kennen, und das es auch in allen anderen Ländern gibt, hängt ganz davon ab, was für Nation – für Nationalstaat – steht. War es eine Bürgerpflicht von Albert Einstein oder Thomas Mann, iht Land zu lieben, nachdem sie von Hitler in die Verbannung geschickt wurden? Und für die Sowjetbürger, die in Stalins Gulags saßen? Oder ist es eine Bürgerpflicht für Syrer, für den syrischen Nationalstaat unter dem Diktator Assad zu kämpfen? Spielt es eine Rolle, ob der Nationalstaat für das Recht steht oder nicht – muss man das Land unter allen Umständen lieben?

Nein, es ist reiner Unsinn und für Menschen, die die Sache nicht durchdacht haben. Und es ist sogar gefährlich in seinem gesamten Relativismus, wie die nationalstaatliche die Geschichte sehr deutlich zeigt, und Deutschland und die Sowjetunion genannt werden. Aber es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele für Länder, in denen die Bevölkerung unterdrückt oder verfolgt und getötet wurde, wie wir es heute erleben und worin die Ursache des Flüchtlingsproblems liegt. Es liegt in erster Linie an den Machthabern und deren Claqueure in den einzelnen Ländern, die auf Patriotismus als absolute Bürgerpflicht bestehen. Und Løkke Rasmussen ist einer jener Machthaber, die ein klares Interesse daran haben, dass Kritik an der Politik geübt wird, die er als Regierungschef führt.  Er stigmatisiert Kritiker nicht als heimatlose Gesellen, wie es der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II, tat und vor dem Ersten Weltkrieg seine Kritiker als Internationalisten in der deutschen Sozialdemokratie beschimpfte.

Die meisten Bürger der verschiedenen Nationen von heute (und es gibt viel mehr Nationen als Staaten) fühlen sich im Namen der Solidarität mit ihrer Nation und Volk vereint. Es war nicht immer so,und  in der Tat ist der Begriff der Nation nicht mehr als 200 Jahre alt. Davor war der Zusammenhalt mit der Familie, der eigenen Klasse, der religiösen Gemeinde oder möglicherweise mit dem Dorf, der Gilde oder dem König wichtig. Kriege wurden in der Regel von gemieteten Armeen (Söldnerarmeen) ausgefochten, und niemand war verpflichtet, sein Leben für seine Heimat zu riskieren. Die Nation ist, wie der britische Historiker Benedict Anderson es in einem berühmten Buch beschrieb: „eine imaginäre Gemeinschaft“ (so lautet auch der Titel), d. h. eine Konstruktion, die besonders durch die Lesefähigkeit und die Kunst des Buchdrucks entstand, da so den Menschen die Möglichkeit eröffnet wurde, einander zu verstehen und sich in größeren nationalen Kontexten sehen konnten.

Romantik mit seiner Verehrung des „Volkes“ und die Geschichte (Herder, Grundtvig) der Herkunft ist alles in allem gut, und der der Kult an die Nation ist an sich nicht gefährlich, so lange er sich nicht in offenen Nationalismus verwandelt und das Gefühl vermittelt, dass die eigene Nation besser ist als andere Nationen. Das ist Menschen vorbehalten, die angeblich in heidnischer Zeit lebten [der dänische Stamm, über den selbst Søren Pind (dänischer Justizminister) in Betzug auf die Verfassung schwärmte].

Nationalismus marginalisiert mehr, als er vereint, sowohl bezüglich anderer Nationen als auch intern bezogen auf die eigene Nation, wo sie im Sinn von „Stamm“ reserviert werden sollte. Im 20. Jahrhundert mit seinen nationalistischen Bewegungen hatte diese Strömung katastrophale Folgen für Europa. Das war auch die Grundlage für die Bildung einer Gemeinschaft wie der der Europäischen Union im Jahr 1957. Die EU bewahrt die Nationen, Und sie wendet sich gegen deren Rückseite: dem Nationalismus. Daher steht die EU auch sejr kritisch der neuen Dynamik des Nationalismus in Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn gegenüber.

Dänemark hat nur eine nationalistische Partei im Parlament, nämlich die Dansk Folkeparti ( Dänische Volkspartei). Aber sowohl die Liberalen als auch die Sozialdemokraten haben noch das Gefühl zu sagen, in Dänemark ist es besser als in anderen Ländern.

Es ist wahr, in einigen Bereichen sollte es wie für Schweden und Norwegen zu einer gerechteren Verteilung des Volkseinkommens und des Flexicurity-System usw. kommen. Aber als Nation ist Dänemark eine der vielen Nationen, die in erster Linie die Verpflichtung haben, zusammen zu arbeiten und den Frieden untereinander zu bewahren. Es würde die Gründerväter mit Stolz erfüllen. Die Verfassung sollten wir Liebe entgegenbringen, während „Heimat Thing“ zu einfach für Führer und für Irre steht. „Mein Land – richtig oder falsch!“ zählt nicht mehr..

von

Günter Schwarz – 21.06.2016