Die Briten haben sich mit einer knappen aber eindeutigen Mehrheit von 51,9 Prozent für einen Austritt Großbritanniens ausgesprochen, nachdem noch gestern Abend bei Schließung der Wahllokale um 22 Uhr Ortszeit (23 Uhr MESZ) nahezu über alle Medien die Meldung verbreitet wurde, dass die Befürworter zum Verbleib in der EU das Nase leicht vorn hätten. Irrtum! Am Morgen kurz vor 5 Uhr kristallisierte sich nach Auszählung der meisten der 382 Stimmbezirke heraus, dass genau das eingetreten war, was sich niemand so richtig vorstellen konnte: Die Briten gehen und verlassen die EU!

Der britische Premierminister David Cameron, der für den Verleib Großbritanniens in der EU gekämpft hatte, kündigte heute Morgen um 9:20 seinen Rücktritt für Oktober dieses Jahres an, worüber die Befürworter des Brexits Nigel Farage von der UK Indenpendence Party (UKIP) sowie der ehemalige Bürgermeister Londons und „Tory-Freund“ des Premierminsters , Boris Johnson besonders lachen können, dass der Premierminister sich gründlich „verzockt“ hat. 2013 hatte er das Referendum ins Spiel gebracht – Ziel war damals, Widersacher und EU-Kritiker in den eigenen Reihen ruhigzustellen, und jetzt erhielt er die Quittung für diese leichtsinnige Entscheidung von vor drei Jahren.

Besonders die ländlichen Gebiete im ganzen Land mit einer überwiegend älteren und konservativen Bevölkerung haben überwältigend für den Brexit gestimmt. Ebenso stimmten die Regionen des Landes, die einst das industrielle Herz ihres Landes mit der Kohle- und Stahlindustrie waren, aber die seit Jahrzehnten dem wirtschaftlichen Verfall und der Verarmung überlassen wurden. Dazu gehören vor allem Wales und weite Gebiete Nordenglands. So votierte beispielsweiseYorkshire, eine traditionelle Hochburg der europafreundlichen Labour-Partei, fast durchgängig mit ca. 61 Prozent für „Leave“. Das ist der Bezirk, aus dem die in der vergangenen Woche ermordete Labour-Abgeordnete Jo Cox stammte.

Aber auch Universitätsstädte wie Newcastle, Sheffield oder Nottingham sprachen sich für den Austritt aus, und das kam völlig unerwartet für die poltische Elite der „Remain“-Befürworter.

Wie konnte sich die Demoskopen wieder einmal so gründlich irren, wie es bereits zuvor bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 geschehen war – und diesmal zudem die Finanzmärkte und die Buchmacher? Die Frustration und die Wut des einfachen Volkes über den elitären und undemokratischen Politikbetrieb in London und Brüssel wurden sowohl von den regierenden Politikern und den Wirtschaftsvertretern der Konzerne vollkommen unterschätzt.

Sie haben sich in dem Wunsch der Bevölkerung gründlich geirrt, dass die Wähler wieder die Kontrolle über jene Dinge zurückbekommen wollen, die für sich wirklich wichtig sind. Sie wollen sich nicht länger von irgendwelchen anonymen Politikern aus dem fernen Brüssel regieren lassen, die mit ihrem „Beamtenapparat“ ohnehin machen, was sie für richtig halten und dabei nur in den seltensten Fällen den Willen der Betroffenen und die Konsequenzen, die sich aus ihren Entscheigungen für den einzelnen Bürger ergeben, berücksichtigen.

Die Überzeugung, dass sich mit einem EU-Austritt in Großbritannien alles zum Besseren wenden wird, wie es die Brexit-Befürworter-Wähler erhoffen, und wie es ihnen besonders die Brexit Gallionsfiguren, Farage und Johnson, im Wahlkampf weisgemacht haben, dürfte sich mit ziemlicher Sicherheit als eine Seifenblase erweisen, die schon bald platzen wird.

Doch nicht zuletzt haben sich diese „Schlappe“ alle europäischen Politiker auf nationaler Ebene wie auch jene „Herren“ in Brüssel selbst eingebrockt, denn auf die Dauer gegen das Volk zu regieren, zahlt sich langfristig nicht aus – der Erfolg nationaler Strömungen wie die Dansk Folkeparti, der Front National, die Alternative für Deutschland, die Partij voor de Vrijheid, die Prawo i Sprawiedliwość, die Freiheitliche Partei Österreichs und viele andere mehr machen mehr als deutlich, dass sich Europa in einem Übergang befindet, von dem noch niemanden klar sein dürfte, wohin er führen wird.

von

Günter Schwarz – 24.06.2016