The winner is … Germany! – Warum vor allem Deutschland ein Brexit-Gewinner ist
Vom Abschied der Briten aus der EU könnte der Rest des Bündnisses – und allen voran Deutschland – durchaus profitieren.
Nach dem „ersten Schock“ vom Freitag, der nicht nur Großbritannien sondern auch die gesamte EU und den „Rest der Welt“ durch die Brexit Entscheidung bis ins Mark erschütterte, sieht man zumindest in europa und Deutschland etwas nüchterner und pramatischer.
Zweifellos wird das Gewicht der Deutschen in der EU wachsen.
Denn mit Großbritannien verlässt der größte Bremser einer Weiterentwicklung das Bündnis. Und Deutschland wird als mit Abstand größte Volkswirtschaft den größten Einfluss haben.
Die Attraktivität Deutschlands für Fachkräfte wächst.
Die Abstimmung für den Austritt aus der EU könnte die Beliebtheit Großbritanniens bei Jobsuchenden verringern – und somit deutschen Unternehmen Vorteile verschaffen, so Mariano Mamertino, Europa-Ökonom bei Indeed, der weltweit größten Online-Jobseite.
Jobsuchende innerhalb der EU interessieren sich bisher dreimal mehr für Großbritannien als für die in der Beliebtheitsskala nächstplatzierten Länder Deutschland und Frankreich. Das könnte sich nun ändern.
Mamertino: „Wir sind der Ansicht, dass Deutschland durch einen Brexit für Fachkräfte auf der Suche nach hochqualifizierten Stellen innerhalb der EU durchaus an Attraktivität gewinnen könnte. Bereiche wie die Technologiebranche, Ingenieurwesen und Finanzdienstleistungen würden von den zusätzlichen Kandidaten profitieren, für die sich ein Großbritannien außerhalb der EU als weniger zugänglich oder weniger attraktiv erweist.“
Ausländische Investitionen fließen verstärkt nach Deutschland. Großbritannien verliert für ausländische Investoren an Attraktivität.
Jan Gaspers vom China-Institut Merics in Berlin: „Es wird weniger chinesisches Geld nach Großbritannien und mehr in den Rest Europas fließen. Der unbegrenzte Zugang zum EU-Binnenmarkt und die Möglichkeit, Talente aus ganz Europa zu rekrutieren, waren bislang wesentliche Gründe für chinesische Investoren, in Großbritannien aktiv zu werden.“
Viele ausländische Firmen in Großbritannien dürften jetzt auch einen Umzug auf den europäischen Kontinent erwägen, etwa die Autohersteller.
Neue Jobs in Frankfurt:
Weil das bisherige Finanzzentrum London an Bedeutung verlieren wird, steht eine Verlagerung Tausender Jobs in andere Teile Europas an.
Davon dürfte vor allem die Bankenstadt Frankfurt, die auch Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) ist, profitieren.
Wirtschaftsanalysten erstellten eine Aufstellung der Vor- und Nachteile, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Brexit sowohl für die EU als auch für Großbritannien bezüglich der Wirschaft der neuen Wirtschaftszonen bestehend aus der „EU der 27“ und Großbritannien ergeben werden.
1. Das Pfund und der Euro
Gegenüber dem Dollar sank das Pfund Sterling auf ein frisches 31-Jahres-Tief, nachdem es am Donnerstag noch auf einem Jahreshoch geschlossen hatte. Auch gegenüber dem Euro verlor die britische Währung 6 Prozent an Wert, Tagesschwankungen schon von 1 Prozent sind an den Devisenmärkten unüblich. Der Verfall des Sterlings verbilligt zwar Exporte, verteuert aber Importe. Schlechte Nachrichten auch für die deutschen Autobauer, für sie ist Großbritannien ein wichtiger Absatzmarkt. Aber auch der Euro gab gegenüber dem Dollar knapp 3 Prozent nach. Ohne Großbritannien ist die EU schwächer, und der Brexit könnte Nachahmer in anderen Ländern der Gemeinschaft finden. So ruft der rechtspopulistische Geert Wilders schon nach einem Referendum in den Niederlanden und der Däne Kristian Thulesen Dahl:mit der Dansk Folkeparti – ganz zu schweigen von Marine Le Pen mit der Front National in Frankreich.
2. Die deutsche Wirtschaft
„Kurzfristig ist zu befürchten, dass der Absatz deutscher Produkte in Großbritannien schwächer wird“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer. Der Brexit sei „für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor“. Bei einem ihrer wichtigsten Handelspartner müssten sich die deutschen Unternehmen auf erhebliche Veränderungen einstellen. Besonders gelte das auch für die zahlreichen deutschen Unternehmen, die in Großbritannien für Europa und die Weltmärkte produzierten. „Das Leitmotiv für die Austrittsverhandlungen muss lauten: Maximale Schadensbegrenzung für unsere Unternehmen, für unsere Beschäftigten und ihre Einkommen“, forderte Markus Kerber, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie.
3. Der deutsche Steuerzahler
Der Brexit wird kostspielig für die deutschen Steuerzahler. Denn alle anderen Mitglieder müssen künftig das ausgleichen, was Großbritannien als bislang drittgrößter Nettozahler leistet, erklärte der Präsident des Bundes der Steuerzahler Deutschland, Reiner Holznagel. Der britische Beitrag entspricht mit rund 5 Milliarden Euro laut der Steuerzahlerlobby dem Betrag, den allein Griechenland pro Jahr netto aus dem EU-Haushalt erhält.
4. Der britische Verbraucher
Ob Verbraucher-, Daten- oder Umweltschutz: viele Regeln, die heute noch in Großbritannien gelten, beruhen auf EU-Regulierung. „Es ist damit zu rechnen, dass die Briten nach dem Verlassen der EU diese Schutzrechte in Frage stellen und sie durch mehr wirtschaftlich orientierte Schutzrechte ersetzen“, sagte Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des IT- und Telekommunikations-Branchenverbandes Bitkom, Dow Jones Newswires in einem Telefoninterview nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses.
5. Airbus, die Deutsche Börse und Vodafone
Viele Unternehmenslenker haben sich anlässlich des Brexit-Votums zu Wort gemeldet. Ein Statement sticht von der Wortwahl her heraus, das von Airbus-Chef Tom Enders. „Großbritannien wird zwar leiden, doch bin ich überzeugt, das Land wird sich noch mehr auf die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft gegenüber der EU und der gesamten Welt fokussieren“. Das klingt trotzig. Wie kaum ein anderes Unternehmen ist der europäische Flugzeugbauer auf freie und schnelle Warenströme angewiesen. Airbus produziert nicht nur in Deutschland, Frankreich und Spanien, sondern eben auch in Großbritannien – noch, denn: „Natürlich werden wir unsere Investitionsvorhaben in Großbritannien überdenken, so wie jeder andere auch“, fügte Enders in seinem Statement hinzu. Auch Vodafone wird sich wohl ein neues Zuhause suchen müssen. „Es ist noch zu früh, eine Aussage zu den Auswirkungen des Ergebnisses auf den Geschäftssitz der Vodafone Gruppe zu machen“, heißt es in einer Stellungnahme des britischen Telekommunikations-Giganten vielsagend nichtssagend. Derweil wackelt die Fusion der Deutschen Börse und der London Stock Exchange. Zwar hieß es am Freitag, an der Fusion solle trotz des Brexit-Votums festgehalten werden. Ob die fusionierte Gesellschaft aber ihren Sitz in London, und damit außerhalb der EU, haben wird, erscheint zumindest zweifelhaft.
1. Besitzer von Gold
In unsicheren Zeiten gilt das Edelmetall als sicherer Hafen. Nach Bekanntwerden des Votums der Briten schoss der Preis steil nach oben. Eine Unze kostet derzeit 1.335 Dollar, so viel, wie schon seit März 2014 nicht mehr. Und Experten rechnen damit, dass Gold noch weiter an Wert gewinnt. Zu den Gewinnern des Handels am Brexit-Tag gehörten nicht umsonst auch Aktien von Goldminen.
2. Frankfurt
In der EU spielte Frankfurt nach London nur die zweite Geige. Das könnte sich mit dem Austritt der Briten aus der EU ändern. Experten sind sich sicher, dass die Bedeutung von Frankfurt als Finanzplatz zunehmen wird. Das wird mittelfristig auch den Immobilienbesitzern am Main zugute kommen. Auch Paris und Luxemburg werden in ihrer Bedeutung als Finanzplatz steigen, so sehen es Experten.
3. Irland
Nach dem Austritt der Briten ist Irland fast das einzige EU-Land, in dem die „Weltsprache“ Englisch auch Landessprache ist. Globale Konzerne könnten ihr Europa-Quartier darum nach Irland verlegen. Die wegfallende Sprachbarriere sollte aber nicht der einzige Grund sein. Internet-Riesen wie Google und Facebook haben schon heute ihr Europa-Hauptquartier auf der grünen Insel. Die Steuern sind niedrig, die Regulierung nicht so streng wie in anderen Ländern der Gemeinschaft. Der Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbandes Bitkom, Bernhard Rohleder, hält es für zwingend, dass die Branchen-Riesen, die heute noch in Großbritannien sitzen, in die EU umziehen.
4. Anwälte und Unternehmensberater
Rohleder sagt auch voraus, dass die Briten viele regulatorischen Richtlinien, die ihnen von der EU vorgegeben wurden, durch weichere, unternehmerfreundliche ersetzen werden. Ebenfalls muss der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union vertraglich geregelt werden. Ein Eldorado für Rechtsanwälte und Unternehmensberater, das ihnen auf Jahre wertvolle Mandate sichert.
5. Duty Free Shops
Die Preise für Tabakwaren gehören in Großbritannien neben Irland und dem Nicht-EU-Mitglied Norwegen zu den höchsten in Europa. 8,10 Euro kostete die Packung Kippen laut Statista im vergangenen Jahr auf der britischen Insel durchschnittlich, über 2 Euro mehr als in Deutschland. Viele Briten deckten sich darum bei ihren Europa-Reisen ein. Auch Nichtraucher versorgten rauchende Freunde und Bekannte. Innerhalb der EU waren die Freimengen besonders großzügig. Künftig ist nur noch eine Stange erlaubt, dafür sinkt diese im Preis, denn das Geschäft sollte sich auf Duty Free Shops an Flughäfen verlagern. Und auch in Häfen und auf Fähren über den Ärmelkanal sollte der innerhalb der EU verbotene zollfreie Einkauf eine Renaissance erleben
von
Günter Schwarz – 27.06.2016