So sehen viele, abgesehen von rechtsnationalen Dänen die Entscheidug der Briten, der Gemeinschaft der Europäer zu verlassen, um sich, wie die Befürworter des Brexits, wieder auf „eigene Füße“ zu stellen und sich nicht länger von Brüssel „gängeln“ zu lassen.

Die Entscheidung der Briten war im wahrsten Sinne des Wortes ein schwarzer Freitag für Europa: wenn man bedenkt, mit welchen politischen Mühen damals Bundeskanzler Ludwig Erhard und Staatsminister Jens Otto Krag jahrelang dafür geworben hatten, dass nach dem Veto des französischen Präsidenten Charles de Gaulle Großbritannien 1973 – gleichzeitig mit Dänemark – Mitglied der Gemeinschaft wurde, dann kann man verstehen, welche historische Dimension das Brexit hat.

Damals hieß die Gemeinschaft noch EF bzw. EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) oder scherzhaft nach einer damaligen deutschen Fernsehshow „Einer wird gewinnen“. Doch vom Gewinnen spricht heute niemand mehr, denn die EU ist zurzeit kein Erfolgsgarant mehr. Die Entscheidung ist natürlich zu respektieren, und bislang war auch vor keiner Seite Häme zu verspüren, sondern die politische Botschaft in den europäischen Hauptstädten drückt nur Bedauern aus. Die Konsequenzen für die EU sind verheerend, zunächst völlig unüberschaubar. Die Statik im europäischen Haus – jene Kräfte, die dafür sorgen, dass ein Gebäude stabil ist und nicht einstürzt – ist in höchstem Maße bedroht. Die Folgen treffen (leider) nicht nur die Briten: die EU ohne Großbritannien – auch als transatlantischer Pfeiler – verliert ein wichtiges Stück innerer Glaubwürdigkeit.

Konzentrieren wir uns an dieser Stelle auf das Erdbeben für die dänische Politik, für Dänemark. Während das dänische Ja am 2. Oktober 1972 vom Kollegen Frode Kristoffersen einst als „Bacon-Entscheidung“ charakterisiert wurde, hat England für die Dänen längst nicht mehr die wirtschaftliche Bedeutung von einst. Tausende von Arbeitsplätzen werden verloren gehen, doch objektiv haben Deutschland (nicht zuletzt nach der Wiedervereinigung) und auch Schweden in den letzten 43 Jahren Großbritannien bei den dänischen Ausfuhren auf Platz drei verdrängt.

Das sind harte Fakten, aber die dänische Politik steht vor ganz anderen Herausforderungen: die Bedeutung Deutschlands, schon seit längerem in København als außenpolitisch wichtigster Partner eingestuft, wird zunehmen, was weder in Dänemark noch in anderen europäischen Ländern nur mit Beifall quittiert wird.

Da Dänemark in Schlüsselfragen der EU – z. B. Richtung immer mehr Union – oft mit den Briten auf Wellenlänge lag, muss Dänemark nun neue Wege gehen, um den eigenen Einfluss stärker zur Geltung zu bringen. Mit Ausnahme der Einheitsliste und kürzlich auch die Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) hat keine dänische Partei eine Volksabstimmung oder gar ein Dexit empfohlen. Sowohl Venstre-Staatsminister Lars Løkke Rasmussen als auch die sozialdemokratische Parteichefin Mette Frederiksen haben gestern eine Volksabstimmung strikt abgelehnt. Løkke hat zurecht(!) den Wunsch nach einer schlankeren EU betont, zugleich aber mit erfreulicher Präzision darauf hingewiesen, Dänemark werde zwar die Engländer bei ihren Verhandlungen mit Brüssel gerne unterstützen, aber nicht naiv sein. Letztlich zählen allein dänische Interessen.

Die Dansk Folkeparti ist natürlich „dark horse“ in diesem Spiel. UKIP-Chef Farage erklärte sogar, nun sei Dänemark mit einem Austritt an der Reihe! DF will jedoch die Verhandlungen zwischen London und Brüssel abwarten, um dann eventuell die dänische Bevölkerung zu befragen, ob sie ein ähnliches Ergebnis wie England wünscht. Thulesen-Dahl sprach gestern nebulös von einer neuen europäischen Konstruktion „irgendwo“ zwischen England und Norwegen, die eines Tages für Dänemark interessant sein könnte. Erst einal ist Tee trinken angesagt, und dabei wird die Frage entscheidend sein, wie sich die DF eine bürgerliche Regierungsbeteiligung vorstellt, ohne sich an der EU zu „verschlucken“.

von

Günter Schwarz – 28.06.2016