Juncker: „Sie verlassen das sinkende Schiff“
Nach dere gestrigen Entscheidung des UKIP-Chefs Nigel Farage wirft der EU-Kommissionschef Juncker den britischen Brexit-Befürwortern und Galionsfiguren der Austrittskampagne Johnson und Farage unpatriotisches Verhalten vor. Außerdem macht Junker deutlich, Brüssel will nicht weiter hingehalten werden. London solle den Austritt einleiten! Doch nicht alle in der EU und in Großbritannien glauben nicht daran, dass der Brexit von der britischen Regierung wirklich beantragt werden wird, wie es formell nach dem Lissaboner Vertrag gemäß des oft genannten Artikels 50 nötig wäre.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker richtete scharfe Kritik gegen die führenden britischen Brexit-Befürworter, die nun auf ihre politischen Ämter verzichten. „Die strahlenden Brexit-Helden von gestern sind nun die traurigen Figuren von heute“, sagte er vor dem Europaparlament in Straßburg. „Einer nach dem anderen tritt ab.“
Die EU-Kommission warte jetzt auf die offizielle Bekanntgabe des britischen Austrittsbegehrens, die lasse aber auf sich warten. „Ich dachte, das Brexit-Lager habe einen Plan“, sagte der Christdemokrat. Stattdessen verließen dessen Anführer wie die Ratten nun das „sinkende Schiff“. „Patrioten gehen nicht von Bord, wenn die Lage schwierig wird – dann bleiben sie“, so Juncker.
Der Präsident der EU-Kommission spielte damit auf den ehemaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson und den Chef der europafeindlichen Partei UKIP, Nigel Farage, an. Beide hatten sich für einen Austritt Großbritanniens aus der EU stark gemacht. Johnson wollte sich nach dem Referendum aber überraschend nicht um die Nachfolge von Premier David Cameron bewerben. Farage kündigte seinen Rücktritt als UKIP-Chef an, will aber nach eigenen Angaben weiter Mitglied des Europaparlaments bleiben.
Auch der EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk forderte London auf, nun ein „geordnetes Austrittsverfahren“ einzuleiten. Zugleich bekräftigte er, dass Großbritannien die grundlegenden Freizügigkeiten garantieren müsse, wenn es weiterhin Zugang zum EU-Binnenmarkt haben will.
„Einen Binnenmarkt à la carte wird es nicht geben“, bekräftigte Tusk. Zu den Freizügigkeiten gehört das Recht von europäischen Arbeitnehmern, in anderen EU-Staaten zu arbeiten. Dieses Recht wollen die britischen Befürworter des EU-Austritts jedoch einschränken.
„Brexit war nur beratendes Referendum“
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Elmar Brok, betonte, dass es keine informellen Verhandlungen mit den Briten geben werde, bevor sie einen Antrag für den Austritt gestellt haben.
Entweder Großbritannien wolle den Status eines EU-Mitglieds behalten oder das Land stelle einen Antrag, sagte der CDU-Mann der „Passauer Neuen Presse“. Jetzt läge es bei der britischen Regierung – das Referendum sei nur „ein beratendes Referendum“ gewesen.
Finanzminister glaubt nicht an Brexit
Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling geht einen Schritt weiter. Der ÖVP-Politiker glaubt noch nicht daran, dass es überhaupt zu einem Brexit kommen wird. „Großbritannien wird auch in Zukunft Mitglied bleiben“, sagte er dem „Handelsblatt“. Darauf ließen die Aussagen des Chefs des europäischen Rettungsschirms ESM und auch der britischen Regierungsspitze schließen, vorerst keine Eile mit der Einreichung des Antrags zu haben.
Laut Schelling könnte ein anderes Modell ein „Teil-Brexit“ sein. „Das heißt, nur England tritt aus der EU aus und Schottland sowie Nordirland bleiben weiterhin EU-Mitglieder“, sagte der konservative Minister.
von
Günter Schwarz – 05.07.2016