Die Anzahl der Menschen, denen Obdachlosigkeit droht, steigt dramatisch. – Der Kreis Nordfriesland spricht von 560 Personen in Husum und Südtondern allein aus dem Jahr 2015. Gleichzeitig stockt es im sozialen Wohnungsba im Kreisgebiet.

Und bei denen, die es betrifft, geht es plötzlich ganz schnell. Ein Geschäftsmann verdient gutes Geld, kauft sich ein Haus oder eine Eigentumdwohnung, nimmt von seiner Hausbank eine Hypothek auf. Doch dann läuft seine Firma aus unerwartete Marktverwerfungen nicht mehr ganz so gut, wodurch es zur Insolvenz kommt und er die Firma schließen muss.  Bei einem anderen scheitert die Ehe, die in der Folge zur Überschuldung führt, und schon beginnt der soziale Abstieg. Er muss in eine kleine Wohnung ziehen, kann aber nach kurzer Zeit auch diese Miete nicht mehr zahlen und nach der schriftlichen Kündigung kommt die Räumungsklage. Kurz gesagt: Er steht auf der Straße.

Man könnte mit solchen Geschichten ganze Bücher füllen. Seit 35 Jahren kümmert sich der Diplom-Sozialarbeiter Jürgen Laage darum, dass Menschen, die in Schwierigkeiten geraten sind, eine Bleibe finden oder ihre Wohnung behalten können. In den vergangenen elf Jahren hätten sich die Fälle, in denen Menschen von Wohnungslosigkeit bedroht sind, mehr als verdoppelt, erklärt Laage. 2015 waren es 295. In diesem Jahr sind bereits rund 200 Fälle auf seinem Schreibtisch im Sozialzentrum Husum und Umland gelandet. Dazu gehören alleinerziehende Mütter genauso wie Sozialhilfe-Empfänger, Unter-25-Jährige aus schwierigen Familienverhältnissen, Scheidungsfälle, alleinstehende Soldaten, Senioren auf der Suche nach altersgerechten Wohnungen und anerkannte Flüchtlinge. „Auch viele, die aus sozialen Einrichtungen kommen und sich neu orientieren, gehören dazu“, sagt Laage.

Die einen nennen die Lage auf dem Wohnungsmarkt angespannt, der Fallmanager bezeichnet sie als dramatisch. Wohnraum für nur ein bis zwei Menschen ist in Husum seit Jahren ein äußerst knappes Gut. Dazu kommen Engpässe bei bezahlbaren, innerhalb der Mietobergrenzen liegenden Drei-Zimmer-Wohnungen. „Die Mieten in Husum sind einfach zu teuer. Das liegt vor allem an den steigenden Nebenkosten – und die Vermieter sind natürlich aus wirtschaftlichen Gründen nicht bereit, mit den Grundkosten runterzugehen“, erläutert er. Zwar hätten die 2015 erstmals seit fünf Jahren neu angepassten Miethöchstgrenzen durch den Kreis Nordfriesland als Träger des Jobcenters und der Sozialhilfe in geringem Umfang zur Entspannung beigetragen. „Das hätte gerne mehr sein können, nur war das beim verarmten Kreis nicht durchzusetzen“, so Laage. So wird es für den Fallmanager immer schwieriger, für seine Klienten Wohnungen mit einem angemessenen Preis zu finden.

Eine weitere Baustelle ist der Wohnungsbau für Sozialmieter, der laut Politik in diesem und im kommenden Jahr in Gang kommen sollte. „Hier passiert kaum etwas und wenn gebaut wird, sind es häufig Eigentumswohnungen“, so Laage. Ob jemandem eine Räumungsklage droht, erfährt er von den Wohnungsverwaltungen und den Gerichten. Aber nicht alle Verwaltungsgesellschaften melden sich. „Ich würde mir wünschen, dass auch die privaten Anbieter Mietrückstände mit dem Sozialzentrum klären, um eine Klage zu vermeiden“, sagt er.

35 Kilometer nördlich von Husum sitzt Monika Plock in ihrem Lecker Büro und macht sich Sorgen um die Wohnungssituation in Südtondern. 2008 hat die Mitarbeiterin des Diakonischen Beratungs- und Behandlungszentrums das Projekt „Mien Tohus“ ins Leben gerufen. Im Zusammenarbeit mit dem Amt Südtondern unterstützt sie ebenfalls Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. „In Niebüll ist es so gut wie aussichtslos, für meine Klienten Unterkünfte zu bekommen“, erklärt die Diplom-Sozialpädagogin, die sich bei ihrer Suche jetzt vor allem auf den Raum Leck und Umgebung konzentriert. Im vergangenen Jahr waren es in Südtondern 266 Fälle, die Plock betreut hat. Ende diesen Jahres wird die Quote vermutlich höher sein. Schon jetzt stehen auf der Liste rund 150 Namen.

Thomas Magnussen vom Amt Nordsee-Treene hat mit deutlich weniger Fällen zu tun – drei Obdachlose seien es in diesem Jahr bislang gewesen, die dauerhaft untergebracht werden mussten. „Die Erklärung ist einfach“, macht der Leiter des Ordnungsamtes deutlich. „Obdachlose zieht es eher in die Zentren der größeren Städte. In unserem Fall sind das dann Husum und Flensburg.“ Magnussen ist es wichtig, dass der Begriff wohnungs- beziehungsweise obdachlos nicht in den falschen Hals gerät. „Viele denken bei Obdachlosen an Menschen, die mit der Flasche Wein in der Hand und dem Hund an der Leine in der Fußgängerzone sitzen“, erklärt er. Das sei nicht richtig. Obdachlose seien Menschen, die akut ihre Wohnung verloren haben und dringend eine Unterkunft benötigen. „Wen es nicht lange an einem Ort hält und der auf der Straße lebt, wird als ‚nicht sesshaft‘ bezeichnet“ , stellt er klar.

Zurück in Husum. Jürgen Laage hängt schon wieder am Telefon. Ein neuer Fall, ein neues Schicksal. „Wenn Menschen an der Bürokratie scheitern und nur ein Kontoauszug fehlt, um an eine Wohnung zu kommen, dann könnte ich in die Luft gehen“, sagt er. Aber es gibt auch gute Tage. „Wenn erst alle Signale auf Rot sind – und im letzten Moment lässt sich ein Vermieter auf einen Vorschlag ein – dann mache ich einen Luftsprung.“

von

Günter Schwarz – 11.07.2016