Wer hat Angst vor Boris Johnson?
Durch Leidenschaft vereint: Donald Trump und Boris Johnson, nicht nur durch wunderliche Frisuren auf einem Graffiti in der englischen Stadt Bristol vereint.
Auf den ersten Blick mag die Ernennung von Boris Johnson zum neuen britischen Außenminister als ein Witz erscheinen. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten nicht mehr.
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Boris Johnson neuer Außenminister – viele Briten reiben sich die Augen, Polit-Insider in London halten den Atem an, kübelweise wird in den sozialen Netzwerken Hohn und Spott vergossen.
Ob sich die neue Premierministerin Theresa May einen Gefallen tut, den unberechenbaren Querkopf ins Kabinett zu holen, bleibt abzuwarten. Doch ihre Strategie, wie sie im politischen Kampf in London und Brüssel bestehen will, tritt deutlich zutage.
„Brexit heißt Brexit“, heißt ihr neues Mantra. May wird nicht müde, ihren Slogan an den Mann zu bringen, es klingt wie eine Beschwörung – auch wie das Pfeifen im Walde, wenn jemand die eigenen Ängste vertreiben will.
Denn die Neue im Amt hat mit einem Nachteil zu kämpfen, einem Makel gar: Sie ist keine „Brexit-Frau“. Noch vor ein paar Wochen, im Wahlkampf, plädierte sie für den Verbleib in der EU. Jetzt muss sie ganz schnell zeigen, dass sie die Seiten wechseln kann. Der Rückgriff auf Johnson soll das Brexit-Lager in den eigenen Reihen beruhigen – eine Art Überlebensstrategie für May.
„Boris bounces back“ – Boris springt zurück, schreibt die „Daily Mail“ am Donnerstag in Balkenlettern. Der Londoner Ex-Bürgermeister hat eine Achterbahnfahrt der besonderen Art hinter sich: Er war der treibende Mann im Brexit-Lager, das Gesicht der Bewegung, der Sieg beim Referendum war vor allem auch sein Verdienst.
Fast galt er schon als designierter Premierminister – bis er sich in einer bizarren Kehrtwende selbst aus dem Rennen katapultierte. Angeblich weil er sich von seinem Brexit-Kumpan und Justizminister Michael Gove verraten fühlte, der sich plötzlich auch um den Premierjob bewarb – eine mehr als windige Erklärung, in Wirklichkeit standen viele Abgeordneten Johnson eher skeptisch gegenüber.
Johnson, der neue Chef-Diplomat, hat viele Charakterzüge – doch geschmeidiges und diplomatisches Vorgehen, geschliffenes und zurückhaltendes Auftreten gehören bestimmt nicht dazu. Schon ätzen Kritiker im Netz, er brauche erstmal bis Weihnachten, um sich bei allen ausländischen Politikern zu entschuldigen, die er in seiner bisherigen Karriere beleidigt hatte.
Die Zeitung „The Independent“ veröffentlichte eine ganze Liste mit Johnsons markantesten rhetorischen Ausrutschern. Zu Hillary Clinton, immerhin die mögliche neue US-Präsidentin, meinte er vor einigen Jahren: „Sie hat gebleichtes Blondhaar und Schmolllippen sowie einen stahlblauen Blick, wie eine Krankenschwester in der Nervenanstalt.“
Barack Obama bezeichnete er als „teilweise kenianisch“. Gipfel der Verstiegenheit ist die jüngste Bemerkung über die EU, deren Politik er mit Hitler und Napoleons Eroberungskriegen vergleicht. Die Frage ist nur: Sind das wirklich Ausrutscher?
May geht mit Johnson ein hohes Risiko ein. Mit dem Hitzkopf als Außenminister dürften diplomatische Konfrontationen geradezu vorprogrammiert sein. Wie will er etwa Clinton unter die Augen treten? Doch Vorsicht, der Oxford-Absolvent und gelernte Alt-Philologe ist wandlungsfähig wie ein Chamäleon. – Immerhin: Zu seiner Ernennung erschien er mit Anzug und Schlips und im Auto – sonst zeigt er sich auch gern auf dem Fahrrad, mit Anorak und Rucksack.
von
Günter Schwarz – 14.07.2016