Der ehemalige Folketingspräsident und aktuelle Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung der Vereinten Nationen, Mogens Lykketoft, hat ausgesprochen, was viele Politiker denken, aber nur wenige zu artikulieren wagen: Volksbefragungen bzw. Referenden sind ein nur eingeschränkt brauchbares, manchmal sogar gefährliches Mittel der Entscheidungsfindung in einer Demokratie.

Diese Äußerung ist in Dänemark, das eine lange Tradition der Referenden in Europafragen hat, heftig angeeckt, zumal nach dem Brexit in Dänemark die Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) bereits laut darüber nachdenkt, ein Referendum über einen „Denxit“ abhalten zu wollen. – In Deutschland hat sich aus der Pegida-Bewegung inzwischen eine ähnliche Partei der „besorgten Bürger“ namens AfD gebildet, von der auch zu befürchten ist, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl im September 2017 die 5-Prozent-Hürde „locker“ überspringen wird. Auch diese Partei ist der EU nicht „unbedingt“ zugetan.

Lykketoft hatte sich erdreistet zu behaupten, dass wir heute keine Große-Belt-Brücke gehabt hätten, hätten wir damals die Bevölkerung direkt entscheiden lassen. Das bleibt zwar eine Behauptung, die nie nachzuprüfen sein wird, die aber durchaus plausibel klingt.

Lykketoft hat von Medien, Politiker-Kollegen und zahlreichen Bürgern heftige Kritik für seine Äußerungen einstecken müssen. Natürlich sind direkte Demokratie und Referenden gut! Der Bürger wird doch direkt befragt, wie kann das denn schlecht sein? Das ist doch nur wieder ein Versuch „der Eliten“, sich von der „normalen“ Bevölkerung abzusetzen.

Doch führen wir die kontrafaktische Überlegung des altgedienten Sozialdemokraten mit einigen weiteren Beispiel fort: Gäbe es heute eine europäische Zusammenarbeit, wenn man die Römischen Verträge durch die Bevölkerungen hätte bestätigen lassen müssen? Hätte es die deutsch-französische Aussöhnung gegeben, wenn man die Bevölkerungen gefragt hätte? Gäbe es die Bonn-Kopenhagener Erklärungen, hätten man die Bewohner im alten Herzogtum Schleswig direkt befragt?

Der Ruf nach direkter Demokratie verschafft derzeit vor allem den Populisten Auftrieb. Akteure, die mit politischen schwarz-weiß-Rastern unterwegs sind und der Bevölkerung einfache Antworten auf komplexe Probleme suggerieren, legen in den Umfragen europaweit stark zu. Wollt ihr mehr Flüchtlinge? Wollt ihr mehr Selbstbestimmung? Wollt ihr weniger EU? Wollt ihr mehr Sonnenschein? Kombiniert mit einem harten und mittlerweile salonfähigen „Eliten-Bashing“ haben die Populisten derzeit in ganz Europa einen  gefährlichen Zulauf und damit „Konjunktur“.

Man sollte der Bevölkerung unter keinen Umständen per se misstrauen. „Alle Macht geht vom Volke aus“ – das ist nicht verhandelbar und eine andere Grundlage lässt sich für ein politisches System, das nicht in eine Willkürherrschaft abdriften will, schwer vorstellen. Das bedeutet aber wiederum nicht, dass sich die Macht konstant durch Plebiszite überprüfen lassen muss.

Wir haben unsere Politiker bei freien, geheimen, gleichen, unmittelbaren und direkten Wahlen bestimmt. Unsere „Volksvertreter“  bestimmen die Regierungen und sind von uns damit beauftragt, Entscheidungen zu treffen. Das nennt man repräsentative Demokratie. In regelmäßigen zeitlichen Abständen können wir das Personal an den Wahlurnen auswechseln, wenn uns nicht gefällt, was diese abliefern.

Leider neigen einige unserer gewählten Vertreter dazu, bei schwierigen Entscheidungen schnell mal „den Wähler“ fragen zu wollen. Damit soll bei unangenehmen Entscheidungen die Verantwortung sozusagen zurück-delegiert werden. Doch eine Politik nach dem Motto, „wasche mir den Pelz, aber mache mich nicht nass“, ist gefährlich und grenzt manchmal an Verantwortungsverweigerung. Wer Politik gestalten will, der muss auch unbeliebte Entscheidungen durchkämpfen wollen und können.

Leider schwindet das Vertrauen in unsere Politiker und in das „System“ rapide. Das ist eine sehr ernstzunehmende Gefahr für unsere Demokratie. In einem politischen Mehrebenensystem, das zwischen Globalisierung, nationalstaatlichen Interessen und transnationalen Kooperationen immer undurchschaubarer wird, wenden sich viele Menschen den einfachen Antworten der Populisten zu. Kombiniert mit dem Ruf nach immer weiteren Referenden ist dies ein gefährliches Gebräu, das sich letzlich aus ungenießbar herausstellen dürfte.

von

Günter Schwarz – 16.06.2016