Gescheiterter Putsch in der Türkei. Weg in die Diktatur.
Der Militärputsch gegen die Regierung der Türkei in der Nacht von Freitag auf Samstag dürfte gescheitert sein. Am Samstagmorgen berichten Presseagenturen, dass Sicherheitsdienste »Tausende von Soldaten«, die an dem Putsch beteiligt waren, festgenommen haben. Zeitgleich verbreiten sich über die sozialen Medien Bilder, auf denen Erdogan-Anhänger mit unfassbar entfesselter Wut auf die sich ergebenen Soldaten einprügeln.
Die Medien sind sich einig: Es gab nur wenig Anzeichen dafür, dass diejenigen, die an dem Putschversuch beteiligt waren, Aussicht auf Erfolg gehabt hätten. Viele Medien- und Verlagsanstalten erklärten den Aufstand zu einem »Fehler«.
Das wirft zwei große Fragen an diesem Morgen auf: Warum konnte der Putsch in der Türkei scheitern? Und was passiert in dem Land als nächstes?
Bei Betrachtung von geglückten und auch gescheiterten Putschversuchen in anderen Ländern, kann man sich ein ungefähres Bild über die Dynamik des Scheiterns in der Türkei machen.
Der Drehpunkt vollzog sich in der vergangenen Nacht, als Erdogan seine Anhänger zu Widerstand aufrief und diese dann zu Tausenden dem Ruf ihres Führers folgten. Der Putsch wurde zu keiner Zeit durch militärische Stärke bestimmt – obwohl das Militär sogar schweres Gerät vor Ort hatte. Der Fehler lag in dem Ausbleiben der Wahrnehmung eines möglichen Erfolges – getragen durch Medien. Wäre es den Putschisten gelungen, glaubhaft zu vermitteln, dass der Putsch gelingen würde, hätte sich ein großer Teil der Bevölkerung auf die Seite der Putschisten gestellt, um am Ende nicht auf der falschen Seite der Geschütze zu stehen.
Die Putschisten haben es versäumt, sich diese »subjektive« Rückendeckung durch das Volk zu holen und bezahlen nun, gemeinsam mit der türkischen Demokratie, einen sehr hohen Preis.
Die Türkei passt in das historische Muster gescheiterter Aufstände.
Laut Medienberichten wurden bei Zusammenstößen 265 Menschen getötet. Wenn diese Angaben tatsächlich stimmen, dann ist das eine schreckliche Zahl. Sie erreicht jedoch noch nicht einmal annähernd die Zahl der Opfer, die zu beklagen wäre, wenn Panzer und Truppen überall in Ankara und Istanbul auf einen »Full-Scale-Konlikt« ausgewesen wären. Die Putschisten haben ihre militärische Überlegenheit also zu keinem Zeitpunkt genutzt.
In der Historie haben Aufstände eine große Aussicht auf Erfolg, wenn die Putschisten bereit sind, bis zum letzten Atemzug für ihre Idee zu kämpfen. Die Soldaten in der Türkei haben ihre Waffen ohne nennenswerte Kämpfe übergeben – und nehmen dafür sogar die Anklage des Verrats auf sich.
Das Ziel eines gelungenen Militärputsches ist dabei nicht, ein möglichst großes Blutbad zu veranstalten, sondern Fraktionen und Kontrolle zu gewinnen. Hätten die Putschisten also die öffentliche Wahrnehmung dahingehend beeinflusst, dass der Sturz von Präsident Recep Tayyip Erdogan unvermeidlich wäre, dann hätten sich weder Sympathisanten Erdogans noch die türkischen Sicherheitsleute so selbstsicher auf die Seite ihres Präsidenten gestellt.
Wenn ein Aufstand beginnt, ist es eine Spiel der Fraktionen. Zunächst eine kleine Anzahl von Menschen, die eine Übernahme planen und vielleicht eine kleine Anzahl von eingefleischten Loyalisten, in deren Mitte meist das Militär sitzt. Diese Zaungäste wählen für sich immer die Seite, von der sie denken, dass sie gewinnen wird. Wenn genug Leute die Fraktion der Putschisten wählen, ist der erfüllende Aspekt geschaffen den Aufstand zu einem Erfolg zu führen. Dies war in der Türkei zu keinem Zeitpunkt der Fall.
Türkei-Putschisten versäumten die Rolle der Medien
Es wäre die Lektion 1 im Handbuch der Revolution: »Zuerst Radio- und Fernsehsender besetzen.« Um dem Volk die Prophezeiung einer gelungenen Übernahme zu vermitteln, muss zunächst die Kontrolle über die elektronischen Medien sichergestellt sein. Sobald Radio- und Fernsehstationen die Nachrichten übermitteln, dass eine Regierung bereits gestürzt ist, wird es Menschen dazu bewegen sich auf die Seite der Putschisten zu schlagen.
In der Türkei ist dies nicht gelungen – sogar das genaue Gegenteil war der Fall: Präsident Erdogan konnte im Fernsehen eine Erklärung zu dem Putsch abgeben (über ein Mobiltelefon auf Skype), in der er verkündete, dass die Führer der großen politischen Parteien, einschließlich der Opposition, hinter der Regierung stünden. Im Anschluß rief der Präsident dann auch zum öffentlichen Widerstand gegen die Putschisten auf. Ein Ruf, der dann Tausende auf die Straßen trieb.
Das Scheitern des Aufstandes ist also in erster Linie so zu begründen, dass es versäumt wurde eine klare Botschaft über die Medien zu senden. Dies wäre möglich gewesen. CNN Türk und eine Reihe anderer Medien hatten die Seite der Putschisten gewählt. Zeynep Tüfekçi, Professor an der University of North Carolina, bedauert:
»Es gab keine klare Aussage der Putschisten im Fernsehen. Keiner der Führer war zu sehen. Es wurde kein Manifest verkündet.«
Die Aufständischen haben es versäumt, die Wahrnehmung zu schaffen, dass sie die volle Kontrolle haben. Damit konnte die überwiegende Mehrheit von Polizei und Militär nicht für den Putsch gewonnen werden. Das totale Scheitern des Aufstandes ist zu diesem Zeitpunkt zwar nur eine Prognose – aufgrund der Informationen, die uns derzeit vorliegen erklärt es – zumindest teilweise – warum er gescheitert ist.
Was passiert, wenn Aufstände scheitern?
Nach dem Niederschlagen eines Aufstandes beginnt in der Regel ein Albtraum der gewaltsamen Säuberung »illoyaler Kräfte« durch die Regierung. Schon Erdogans erhitzte Rhetorik am gestrigen Abend verkündete diesen Kurs der Gewalt. Er erklärte: » ..| sie einen hohen Preis für ihren Verrat an der Türkei zu zahlen haben. |..« Genau dieses Bild sehen wir nun auch in den Medien. Aufgebrachte Erdogan Anhänger prügeln brutal auf am Boden liegende Soldaten ein.
Zum Glück sind Massenhinrichtungen nach Aufständen nicht die Regel – weil so eine Brutalität nicht im Interesse der Regierung ist. Würde die Regierung beginnen Soldaten oder Offiziere ermorden zu lassen, die nicht unmittelbar am Putsch beteiligt gewesen waren, würde eine Regierung innerhalb des Militärs an Vertrauen einbüßen. Dies kann sich die Türkei zur Zeit noch nicht leisten. Sehr viel wahrscheinlicher ist ein »Gegenschlag«. Die Regierung wird irgendeine oppositionelle Gruppe verantwortlich machen und diese hart bestrafen – oder hinrichten lassen (Konsolidierung als Vergeltung).
Im Falle der Türkei bedeutet dies nicht, dass Massengewalt außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt. Erdogans Gebaren und Rhetorik legt nahe, dass es zu ernsthaften Schäden an der türkischen Demokratie kommen wird und es vermutlich sogar zu einem direkten Übergang zum Autoritarismus kommen wird.
Seit Jahren hat Erdogan versucht, abweichende Meinungen zu ersticken und Macht in seinem Büro zu konsolidieren. Er unterdrückt die Freiheit der Presse, reagiert unangemessen hart auf Demonstrationen gegen die Regierung und strebt Verfassungsänderungen an, die die Macht des Präsidenten erweitert.
Der gescheiterte Aufstand spielt Erdogan unmittelbar zu. Während er zuvor als autoritärer Bösewicht verstanden wurde, feiert man ihn nun als Verteidiger der türkischen Demokratie.
Erdogan wird zur Bedrohnung
Der gescheiterte Aufstand bereitet den Weg für eine totale Herrschaft Erdogans. Sicher ist, dass es Erdogan nun leichter fallen wird, Verfassungsänderungen vorzunehmen. Dabei genießt der türkische Diktator fast uneingeschränkte Solidarität westlicher Regierungen, wie Deutschland und der EU.
Line Holm – 16.07.2016