Sorge bereitet Erdogans Rache
Nicht nur den dänischen Außenminister Kristian Jensen (Venstre /sozialliberale Partei) treibt die Sorge über Präsident Recep Tayyip Erdogans derzeitigen Rachefeldzug nach dem misslungenen Militärputsch um. In allen Hauptstädten der freien Welt lassen Erdogans Worte über „Vergeltung und Säuberung“ das Schlimmste befürchten.
Kristian Jensen bemerkt: „Es wird nicht ein Wort über Versöhnung gesprochen oder dass das, was das Militär getan hat, ein Ausdruck dafür ist, dass Erdogan das Maß an Freiheit, das die Türkei traditionell hat, zu stark beschnitten hat.“
Sogar die Türkische Gemeinde in Deutschland hat sich wegen der von Präsident Recep Tayyip Erdogan angekündigten Rache nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei besorgt gezeigt. Der Bundesvorsitzende der Gemeinde, Gökay Sofuoglu kritisierte, mit Äußerungen nach „Rache und Säuberung“ würde der Staatpräsident nur die Gesellschaft polarisieren und spalten.
Die angedrohten Maßnahmen des jetzt selbstherrlich auftretenden Erdogan betreffen nicht nur die Purschisten, die an der Aktion aktiv beteiligt waren. Er nutzt „das Geschenk Allahs“, wie er den Putsch der Militärs bereits in den frühen Morgenstunden in der Nacht von Freitag auf Samstag nannte, um alle ihm suspekt erscheinenden Personen mit dem Putsch meist auf die abenteuerlichste Weise in Verbindung zu bringen. Das ist ihm Grund genug, sich dieser Personen zu entledigen und sie verhaften zu lassen oder zumindest vom Dienst zu suspendieren, wie es besonders denen der türkischen Justiz traf,von denen rund ein viertel aller Richter und Staatsanwälte entweder im Gefängnis landeten oder unter Hausarrest gestellt wurden.
Doch nicht nur Militärs und Juristen traf bzw. trifft der „Zorn Allahs“ durch sein „türkisches Schwert“ geführt durch die Hand Erdogans. Als Unterstützer bezeichnet der „allwissende“ Erdogan Akademiker, Journalisten und oppositionelle Politiker, die „wie ein Wolf im Schafspelz“ agierten. „Diese Leute haben es nicht verdient, unsere Mitbürger zu sein“, sagte Erdogan. „Wir sind nicht dazu verpflichtet, Leute mitzutragen, die ihren Staat und ihr Volk verraten.“ Die Unterstützer der PKK seien „auch nicht anders als Terroristen, die Bomben werfen“. Es sei nicht zulässig, „Verrat an Staat und Nation“ zu begehen. Ihnen möchte Erdogan zumindest die türkische Staatsbürgerschaft aberkennen, da sie diese nach Meinung des Despoten nicht verdienen.
Besonders im Visier Erdogans aber steht sein ehemaliger Mitstreiter und jetziger Erzfeind Fetullah Gülen, der Prediger, der einst Erdogan selbst den Steigbügel hielt, um nach der Wahl Anfang 2000 an de Spitze der Türkei zu gelangen. Der Putsch war noch nicht niedergeschlagen , als Erdogan Gülen bereits der Anstiftung des Staatsstreiches bezichtigte und vom US-Präsidenten Obama direkt und unumwunden verlangte, den in den USA im Asyl befindlichen Gülen an die Türkei auszuliefern.
Für Erdogan war Gülen ein wichtiger Mitstreiter, um seine islamisch-konservativen AKP Anfang 2000 zum Wahlsieg zu führen. Gülen half maßgeblich, die kemalistischen Eliten in der öffentlichen Verwaltung, im Bildungssystem und in der Justiz durch gläubige Muslime zu ersetzen. So besetzten die „Gülenisten“ die wichtigen Schaltstellen des Staatsapparates und des Militärs. Umso mehr verwundert es, dass Erdogan ausgerechnet dem Mann, ohne den er seine derzeitige Position als Staatspräsident nie hätte einnehmen können, der Urheberschaft des Staatsstreiches unterstellt.
Aber das ist wohl „Erdogan-Logik“, die in der Vergangenheit schon kein rational denkender Mensch so recht nachvollziehen konnte. Und jetzt weist alles darauf hin, dass Erdogan sein Ziel offensichtlich erreicht hat, denn der mißglückte Militärputsch hat ihm alles in die Hände gespielt, was er seit Jahren durchzusetzen versucht: aus der Türkei eine Einmanndiktatur zu machen!
Die Türkei braucht jedoch Demokratie, Frieden und Freiheit – und das ist nicht zuletzt durch den gescheiterten Putsch in weite, weite Ferne gerückt, denn daran hat Erdogan weiß Gott – äh – weiß Allah nicht das geringste Interesse. Erst einmal wird in der Türkei wohl wieder die Todesstrafe eingeführt werden, wie es momentan über die Äther der Radio- und Fernsehsender verbreitet wird, denn eines ist sicher – in Erdogans Türkei ist nichts und niemand mehr sicher!
von
Günter Schwarz – 18.06.2016