Der terroristische Anschlag in Nizza oder die Axt-Attacke in Würzburg sind Gewalttaten, die man sich nur schwer vorstellen mag. Der Aspekt der Gewaltdarstellung wird in unserer Gesellschaft allerdings pfleglich kultuviert und das trägt Früchte.

Gewalt, ganz gleich in welcher Form, wird von unserer Gesellschaft abgelehnt und ist gesetzlich verboten. Die gleichen Maßstäbe existieren in fast allen westlich-orientierten Ländern und Gesellschaftsformen. Gleichzeitig werden exzessive Gewaltdarstellungen jedoch nicht nur toleriert, sondern zudem kultiviert. Dies beeinflusst die Wahrnehmung von Gewalt innerhalb einer Gesellschaft nachhaltig – eine unangenehme Entwicklung, die völlig konträr unserer vorgeschützen Grundwerte blüht und gedeiht.

Man wird sich darüber einig sein, dass Kriegsveteranen oder Gladiatoren um 30 v. Chr. eine stark herabgesetzte Distanz zu Gewalt haben. Bei vielen Soldaten führt dies zu posttraumatischen Belastungsstörungen, die eine Wiedereingliederung in ein ziviles, gewaltfreies Umfeld erschweren. Gleiches gilt für Menschen, die über einen längeren Zeitraum einem gewalttätigen Umfeld ausgesetzt sind. Gewalt wird zur Normalität. Ein ganz ähnliches Phenomän beobachten Soziologen und Psychologen innerhalb von Gesellschaften in Gebieten, die derzeit weder von Kriegen, noch anderen nennenswerten Katastrophen heimgesucht sind – in der Gewalt also nicht in einer Form präsent ist, wie z. B. in einem Kriegs- oder Krisengebiet, wie beispielsweise derzeit in Syrien, Irak oder Libanon.

Schuld sind die Medien. Sicher hat es Gewaltdarstellungen in Kunst und Literatur schon immer gegeben. Abgesehen von erlebter Gewalt in dem Lauf einer bewegten Geschichte. Verändert hat sich jedoch die Entwicklung, sowie die Wahrnehmung. 1785 schrieb der französische Schriftsteller Donatien-Alphonse-François (Marquis de Sade) seinen Episodenroman »Die 120 Tage von Sodom« (Les 120 Journées de Sodome ou L’Ecole du Libertinage), der zwar bis heute zur Weltliteratur zählt, in seiner Darstellung jedoch kaum beschreibbare Grausamkeiten enthält. Die Verfilmung von Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1975 sorgte für einen handfesten Skandal. Einen ganz ähnlichen Skandal und wochenlange Diskussionen zog die Ausstrahlung des ersten Fernseh-Western um 1956 nach sich, in dem ein bis zwei böse Cowboys erschossen wurden. Um 1983 bemühten Pädogen ganze Schulklassen mit der Frage, ob Comics wie »Tom und Jerry« zu gewalttätig sei und zu einer Verrohung Jugendlicher führen würde. Heute kann man sich das nicht mehr vorstellen. Jedes Wochende strahlen Fernsehsender Filme mit exzessiver Gewalt aus. Über das Internet kann man ohne Probleme Filme mit unvorstellbaren realen Grausamkeiten betrachten. Ganz gleich, ob es sich dabei um öffentliche Verbrennungen, Verstümmelungen, Hinrichtungen, Unfälle oder Kriegsopfer handelt. Soziale Medien zensieren derzeit keine exzessiven Gewaltdarstellungen, so lange diese einen »dokumentarischen Charakter« haben. Damit wird jeder Unfall, jede Hinrichtung und jeder Krieg zu einem »Zeitdokument«, worauf die Bürger freier Gesellschaften natürlich ein Informationsrecht haben. Dass man Menschen damit kontinuierlich und im Laufe vieler Jahre mit mehr Gewalt konfrontiert, als ein Soldat von 1914 bis 1918 möglicherweise erlebt haben kann, bleibt offensichtlich.

Gewalt existiert nicht nur auf Bildschirmen. Auch Leseratten erfreuen sich in diesem Sommer an dem neuen Thriller aus dem Heyne Verlag: »Das Spiel – Opfer«, in dem eine Familie gefoltert wird. In einer Rezension lobt ein Leser: »Die detaillierte und brutale Beschriebung der Folterszenen fügen dem Leser körperliche Schmerzen zu.« Also ein gelungenes Buch für den Urlaub. Computerspiele werden immer realistischer. Taten, wie die in Nizza oder jüngst in Würzburg hat wohl schon fast jeder Jugendliche mehrfach an der Spielekonsole simuliert.

Gewalt definiert sich innerhalb unserer Gesellschaft sehr freizügig. Dabei beschränkt sich der mündige Bürger nicht nur auf den Konsum in Film und Literatur, sondern sadistische Neigungen lassen sich auch in dem Mode-Fetisch BDSM verpacken, in dem es letztlich um die aktive oder passive Ausübung körperlicher oder psychischer Gewalt geht. BDSM galt bis 1994 als pathologische Triebstörung, die von der Psychatrie als krankhaft eingeschätzt wurde. Sadomasochismus galt nach ICD-10 als »Störung der Sexualpräferenz«. Heute finden sich die Anhänger dieser »Kultur« ganz offen in Clubs zusammen oder feiern die Aufführung »Die 120 Tage von Sodom« ihres literarischen Helden Marquis de Sade in einer Vorstellung der Berliner Volksbühne in einer Inszenierung von Johann Kresnik, in welcher auf einer Theaterbühne (gespielt) auf Frauen uriniert oder ihnen Kinder aus dem Leibe geschnitten werden.

Eine breitere Zustimmung und Toleranz von Gewalt kann man sich kaum noch vorstellen.

Man mag also hoffen und beten, dass Deutschland und Zentraleuropa im allgemeinen von weiteren Krisen, Kriegen oder größeren Revolten verschont bleibt. Würde man die derzeitige, über jahrzehnte antrainierte Gewaltbereitschaft und emotionale Kälte in z.B. einem Bürgerkrieg entfesseln, dann stehe uns Gott bei.

von
Michael Schwarz – 20.07.2016