Entgegen allen britischen Traditionen führt der erste Auslandsbesuch der neuen britischen Premierministerin Theresa May nicht über den „großen Teich“ in die USA nach Washington, sondern sie macht ihren Antrittsbesuch erst einmal in Berlin bei Angela Merkel.

Zwei Frauen, die konstruktiv miteinander sprechen – so beschreibt die britische Premierministerin May ihr erstes Treffen mit Angela Merkel. Und die bestätigt es mit einem einfachen aber wohl trefenden: „Genau!“. Sie will vor allem eines; sie möchte verstehen, was die Briten jetzt nach dem Brexir eigentlich wollen.

So haben sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die neue britische Premierministerin Theresa May zuversichtlich gezeigt, dass die Beziehungen beider Länder trotz Brexit eng und freundschaftlich bleiben werden. In Verhandlungen werde Deutschland seine Interessen vertreten, sagte Merkel beim Antrittsbesuch Mays am Mittwoch in Berlin. Sie setze aber darauf, dass dieser Prozess in einer „freundschaftlichen Atmosphäre und auf der Grundlage vieler gemeinsamer Überzeugungen“ ablaufen könne, wenn sich beide Seiten darum ernsthafz bemühen.

„Natürlich werden sich unsere Beziehungen ändern“, sagte May, „aber die wirtschaftlichen Beziehungen sollen weiter eng bleiben.“ Merkel und sie wollten beide ein starkes Wirtschaftswachstum und glaubten an den freien Handel. Zum Verhandlungsknackpunkt – ob die Briten auch ohne Freizügigkeit für EU-Bürger Teil der Freihandelszone bleiben dürfen – sagte May: „Das wird ein essenrieller Teil unserer Gespräche sein.“

Mays Berlin-Besuch war ihre erste Auslandsreise als Premierministerin. Sie war David Cameron vergangene Woche als Regierungschefin und Vorsitzende der konservativen Tory-Partei nachgefolgt. Dieser war zurückgetreten, nachdem die Briten in einer Volksabstimmung entschieden hatten, die EU zu verlassen.

Zuwanderung war eines der wichtigsten Themen des Brexit-Referendums. May sieht es daher als ihren Auftrag, den Zuzug von EU-Bürgern in das Vereinigte Königreich zu begrenzen. Die Haltung der EU ist, dass Beteiligung am Binnenmarkt und Freizügigkeit untrennbar zusammengehören.

„Jetzt hören wir auf Großbritannien, was Großbritannien möchte, und dann werden wir darauf auch die richtige Antwort geben“, sagte Merkel. Die EU habe Großbritannien nicht gebeten, die Union zu verlassen. Es müsse das Vertrauen entstehen, damit die „nicht einfachen“ Verhandlungen zielgerichtet geführt werden könnten.

Am Nachmittag hatte die Regierung in London mitgeteilt, dass Großbritannien die vorgesehene EU-Ratspräsidentschaft für das zweite Halbjahr 2017 abgebe. May begründete die Entscheidung wie erwartet mit den bevorstehenden Verhandlungen über den EU-Austritt. Mit diesen will sie voraussichtlich Anfang des kommenden Jahres beginnen. Solange das Land EU-Mitglied sei, werde es seine Rechte und Pflichten in der Gemeinschaft respektieren, sagte May in Berlin.

Um beim Ratsvorsitz keine Lücke entstehen zu lassen, einigten sich die EU-Staaten darauf, dass mit Estland angefangen alle bis 2020 eingeteilten Staaten den sechsmonatigen Ratsvorsitz bereits ein halbes Jahr früher übernehmen. Im Januar 2020 soll dann außerplanmäßig Kroatien einspringen. Deutschland wäre wie ursprünglich vorgesehen erst wieder im 2. Halbjahr 2020 an der Reihe.

Spekulationen, dass ein EU-Austritt doch noch verhindert werden könne, erteilte May in Berlin erneut eine Absage: „Ich habe ganz klar gesagt: Brexit heißt Brexit. Und wir wollen daraus einen Erfolg für Großbritannien machen.“ Die Europäer blieben aber dennoch „sehr wichtige Freunde“. May verwies auf gemeinsame internationale Aufgaben wie den Kampf gegen die Terrororganisation IS, die Flüchtlingskrise und die Lage in der Ukraine. Das Land solle und könne nicht auf den Brexit reduziert werden.

von

Günter Schwarz – 20.07.2016